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Die Gärtner von Königsbrück

Autor: Joerg-Christian Schillmoeller
Fotos: Dirk Gebhardt

27. Oktober 2015

Wenn es ein Leitmotiv in unserer Wanderung gibt – jenseits von Wald, Feld und Straße -, dann sind es die Schrebergärten, diese deutschesten aller Gärten. Sie schmiegen sich an Bahngleise, sie umzingeln Klein- und Großstadt, sie sind kleine Biotope in natürlicher und soziologischer Hinsicht. Heidrun und Peter haben für uns Kaffee gemacht und Kuchen gebacken. Sie haben ziemlich lange an ihrem Garten in Königsbrück/Sachsen gebaut, und es ist nicht untertrieben, ihn ihre heimliche Heimat zu nennen. Dass sie hier gelegentlich übernachten, ist nicht einmal verboten. Sie haben hier nur einen einzigen Feind.

Etappe:
Vorher war Sumpf. Oder eine sumpfähnliche Landschaft. Auf jeden Fall war es ziemlich nass, das kleine Stück Land. Und keiner hat Heidrun damals verstanden. Einen Garten? So kurz nach der Wende? Habt ihr nichts Besseres zu tun? Ihr könnt reisen, ihr seid jetzt frei – und ihr wollt… einen Garten? Sie haben es trotzdem gemacht. Das Wort „urbar“ habe ich lange nicht mehr gehört. Aber Heidrun sagt es: „Wir haben diesen Garten urbar gemacht“. Das hieß als erstes: Aufräumen, Drainage legen. Auf dem Gelände stand Schilf, und es lag viel Schutt herum, Schutt von der alten Keramikfabrik, die heute längst verfallen ist.
Waltraud Andreas über die Anfänge

„Wir mussten tüchtig Hand anlegen in dieser Wildnis“, sagt Peter. Er ist Heidruns Lebensgefährte und nennt sich selbst schmunzelnd den „Teilhaber“ im Garten. „Es ist vorher schon versucht worden, hier einen Garten anzulegen“, sagt er. „Aber sie haben es wieder aufgegeben, wegen des hohen Wasserstandes.“ Er und Heidrun haben 1995 angefangen. „In einem Jahr stand der Garten“, sagt Peter. Er hatte viel Zeit, er ist seit 1990 in Rente. So, wie er davon erzählt, ist zu hören, dass er es sich anders gewünscht hätte. In seinem Berufsleben gibt es Brüche, und das geht ihm nahe.

Es ist Kaffeezeit. Wir sitzen unter dem Vordach des Gartenhauses auf Gartenstühlen mit orange-roten Gartenstuhlpolstern. Heidrun hat Kuchen gebacken, das Kaffeeservice hat einen gelb-blauen Rand. Camping ist etwas Anderes. Das hier ist eine formvollendete deutsche Kaffeetafel, aber nicht in der Doppelhaushälfte einer Spielstraße, sondern in einem Schrebergarten mit mehr als 50 Parzellen, mit großen Bäumen, mit Kieswegen und einem Teich. Der Garten liegt etwas außerhalb von Königsbrück in Sachsen.

Heidrun und Peter wohnen nicht in Königsbrück. Sie wohnen in Dresden-Cotta, 40 Kilometer Richtung Südwest. Da fährt man nicht jeden Abend vom Garten heim. Müssen sie auch nicht, sie haben ja das Häuschen, das alles ist, nur kein Geräteschuppen. Es ist ein Original Salzberger Holzhaus, eines aus Fertigteilen. Es hat den Charme des Temporären, eingerichtet mit dem Mobiliar des Unverwüstlichen. Drinnen sind die Wände vertäfelt, sie haben sich eine Couchgarnitur in blassgrün und einen Wohnzimmerschrank mit Glastüren in Eiche rustikal reingestellt. Wenn sie hier übernachten, dann in zwei Schlafkojen hinter einem Vorhang. Eine Kochnische gibt es auch.

Plötzlich fällt mir das Wort ein. Das Häuschen ist eine Wohnhöhle. Eine gemütliche, kuschelige Höhle. Sie ist vielleicht nicht nach meinem Geschmack eingerichtet, aber das Gefühl, es sich hier drinnen gemütlich zu machen, kann ich sofort nachvollziehen. Es ist eine Puppenstube für Erwachsene, ein Wohn-, Schlaf- und Esszimmer mit Garten. Normal, dass Peter Walther seine Marmelade gleich hier kocht. „Wir können das Obst ja kaum mit nach Dresden schleppen“, sagt Heidrun. „130 Gläser“, sagt Peter. So viel macht er jedes Jahr.

Da ich auch gern Marmelade koche, unterhalten wir uns über die Sorten. Peter hat dieses Jahr nicht viel gemischt. Er hat Erdbeer pur gemacht, und Orange. Orange? So wie in England? „Nein“, sagt er, „ohne Schale. Funktioniert gut.“ In der Kirschmarmelade lässt er die Steine drin. „Ich bin zu faul, die rauszupickern“, sagt er. Also warnt er die Gäste vor, und wenn die Kinder kommen, dann tun sie die Marmelade vorher auf einen Teller, suchen alle Kerne raus und füllen die Marmelade wieder ins Glas, „damit mir da keine Beschwerden kommen, also dass sich einer die Zähne ausbeißt“, sagt Peter.

Wir machen einen Rundgang durch den Garten. Neben dem Eingangstor summt der solarbetriebene Wühlmaus-Warner. Heidrun zeigt mir ihr Blumenrondell, gleich rechts hinter der Pforte. Da stehen Cosmea in weiß und pink, eine rötliche Rispenhortensie und Kapuzinerkresse mit den leuchtenden Blüten in gelb und orange. Ich denke kurz nach und frage: „Verstehe ich das richtig: Sie machen die Blumen, er macht das Gemüse?“

Heidrun nickt: Peter das Gemüse, sie die Blumen. Wir gehen hinüber zu den Gemüsebeeten. Über das Jahr verteilt bauen sie Kartoffeln an, Kohlrabi, Salat, Tomaten, Gurken. Und Obst: Himbeeren, Nektarinen (letztes Jahr waren es 36 Früchte) und gelbe, rote und schwarze Johannisbeeren. Die Heidelbeeren leben hinter Gittern, wegen der Vögel.

Vorhin beim Kaffee hatte ich beide auch nach ihrem Leben jenseits des Gartens gefragt. Heidrun kommt aus der Gegend von Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Gearbeitet hat sie als Sekretärin beim „VEB Robotron-Meßeletronik“ in Dresden, und sie wollte immer schon einen Garten. Ihr damaliger Mann aber nicht, trotz der drei Kinder. Nach der Wende lernte Heidrun dann Peter kennen, und der wollte einen Garten.

Peter ist in Coswig bei Dresden geboren und kann alle Berufe, die man im Leben braucht: Maurer, Fliesenleger, Betonbauer, Schweißer, Kraftfahrer. Nur dass ihm all diese Berufe immer egal waren, wenn es um seinen Herzenswunsch ging. Peter liebt das Wasser, auch wenn er es hier im Garten immer wieder bekämpfen muss – erst vor drei Jahren stand es hinten auf dem Rasen wieder mehr als 30 Zentimeter hoch, ein halbes Jahr lang. Sie haben viel gepumpt damals. Das Wasser ist der natürliche Feind hier im Garten. Aber auch der Einzige, abgesehen von den Wühlmäusen.

Peters Lebenstraum ist das Meer. Er wollte Zeit seines Lebens zur See, am liebsten bei der Handelsmarine. „Man sagte mir, dann musst Du erst drei Jahre zur Armee, zur DDR-Volksmarine“, erzählt er. Er meldete sich. Bei der Musterung war er der eine von 180 jungen Männern, den sie für die Marine nahmen. Er machte Luftsprünge, aber die drei Jahre wurden hart. „Ein unschöner Job“, sagt er heute. Er wollte eigentlich in die Nautik, aber er kam in die Abteilung Sperr/Torpedo. Sperr heißt: Minen legen, Minen räumen. „Das wollte keiner machen, aber ich habe das überstanden.“

Er kam danach trotzdem nicht zur Handelsmarine. Es könnte daran liegen, dass er eine Tante im Westen hatte, ganz klar ist die Geschichte nicht. Aber er sollte das Meer bekommen: Es gab ja noch die Hochseefischerei. Er bewarb sich, und eines Tages klingelten zwei Offiziere, es war kurz vor Weihnachten, und er traute seinen Ohren nicht. „Herr Walther, packen Sie Ihren Koffer, Sie müssen aufsteigen“, sagten sie. Aufsteigen: Das ist sein Wort für „an Bord gehen“. Er kam auf die „Junge Welt“: ein neues Schiff, gebaut in Wismar. 10.000 Bruttoregistertonnen, 170 Mann Besatzung, Einsatz im Nordatlantik. Sie brauchten ihn. „Mir ging das Herz auf“, sagt er. Grönland, Kanada, mit Sturm und Orkan, er fand es herrlich, er war Decksmann, er war endlich im Wasser. Kein Sturm der Welt konnte ihm das vermiesen.

Zwei Jahre und neun Monate ging alles gut. Dann musste er wieder „absteigen“. Er vermutet, es lag an seiner Scheidung. „Man sagte mir: Sie wollten doch abhauen“, erzählt er. „Und das hätte ich auch längst tun können.“ Hatte er aber nicht. Er ging wieder an Land, es war eine schwere Zeit. Er arbeitete als Kraftfahrer, im Betonwerk und bekam irgendwann doch wieder eine Stelle auf dem Wasser: Er ging zur „Weißen Flotte“ nach Dresden, arbeitete bei der Mitropa, in der Fahrgastschiffahrt, immerhin. Dann bekam er Krebs. Er war drei Jahre zuhause und fand danach keinen Job mehr. Das war ein Schlag. Aber den Krebs hat er besiegt.

Heute machen Heidrun und er Kreuzfahrten, als Rentner und Reisende. Mit welchen Schiffen? „Groooß, groooß“, sagt Peter. Wie groß? „Wir waren auf der MS Splendida“, sagt er. „Die ist 333 Meter lang und hat 130.000 Bruttoregistertonnen.“ Irgendwie ist es schön, dass es in unserem Gespräch gar nicht um den Garten geht, sondern um das Leben. Ein Leben zwischen Wasser und Land. Schrebergärten sind gute Orte zum Geschichtenerzählen.

Am Ende wären wir fast geblieben. Heidrun und Peter sind jetzt ganz aufgetaut, aus dem formvollendeten Kaffeekranz ist ein Miteinander geworden. Sie hätten ein Zelt gehabt für uns, wir hätten hier schlafen können, im „Kleingartenverein Am Teich Königsbrück e.V.“. Aber wir entscheiden, weiterzuziehen, wir müssen nach Kamenz und dann nach Panschwitz-Kuckau ins Land der Sorben. Wir verabschieden uns von den beiden und stellen uns an die Landstraße in Richtung Kamenz. Wir haben heute keine Lust mehr zu laufen. Wir fahren per Anhalter. Und es dauert keine fünf Minuten, da hält eine schwarze Limousine. Die Beifahrerscheibe fährt herunter, und der freundliche Mann am Steuer fragt: „Kamenz?“ Es gibt Zufälle, die glaubt einem keiner.

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