Kontakt

Ihr wollt mit uns wandern? Habt eine gute Geschichte auf einer unserer Etappen? Oder möchtet uns eure Anregung oder Kritik mitteilen. Sendet uns bitte eine E-mail: kontakt@einjahrdeutschland.de
  • Freilichtbühne mit Schlosstor

Die Stimme von Zons

Autor: Joerg-Christian Schillmoeller
Fotos: Dirk Gebhardt

23. Dezember 2014

„Der 9. November 1989 war für mich eine Sternstunde“, sagt Harald Krumbein. Er hat an diesem Tag im Deutschlandfunk um 20.01 (es war tatsächlich 20.01 Uhr) die Meldung verlesen, dass die Mauer gefallen ist. Die Redakteure standen alle hinter der Scheibe und schauten zu. Heute macht Harald Krumbein Stadtführungen in seiner Heimat, der alten Zollfeste Zons am Rhein – und er leiht seine Stimme einem besonderen Ereignis, das sich Jahr für Jahr wiederholt.

Etappe:
Tags:
Maria gebärt in 30 Sekunden. So lange dauert es, das Christuskind – mit dem Rücken zum Publikum – aus dem Umhang zu ziehen. Es ist kein lebendiges Christuskind, sondern eine Puppe. Aber sonst sind alle hier auf der Freilichtbühne Zons lebendig. Nicht nur die 500 Zuschauer, auch die 30 Darsteller, die kleine Schafherde und der Esel. Gespielt wird die Weihnachtsgeschichte, Lukas-Evangelium – zugunsten der Heiligen Drei Könige ergänzt durch ein paar Zeilen Matthäus.
Es ist eine liebevolle, etwas kitschige, aber für die Kinder unvergessliche Vorstellung. Und das, obwohl niemand auf der Bühne auch nur ein Wort spricht. Nicht einmal der blonde, schneeweiße Engel, der mit großen Fittichen und erhobenen Armen auf einem Heuballen zwischen Stall und Hirten auftaucht und die Geburt Jesu zu verkünden hätte. Alle spielen schweigend.
Denn nur eine einzige Stimme erklingt hier. Sie kommt – so wie die Musik – jedes Jahr vom Band. Es ist die Stimme von Harald Krumbein, warm, verbindlich, geschliffen. Was würde jemanden mehr dazu befähigen, die Weihnachtsgeschichte zu lesen, als 30 Jahre Dasein als Sprecher beim Deutschlandfunk in Köln? Wir stehen bei ihm, oben in der letzten Reihe der Bühne. Guter Überblick. Es ist kurz nach 17 Uhr, stockdunkel und winterkalt.

Harald Krumbein spricht für die lebendige Krippe.

Harald Krumbein flüstert mir dies und das über das Stück ins Ohr, während das versammelte Publikum seinem Evangelium zuhört. Dirk und ich sind in Zons gelandet, weil wir vor der Überfahrt über den Rhein eine Herberge suchten. Und fanden – in der Freilichtbühne. Eine Nacht in der Garderobe, die genauso aussieht wie die Umkleide einer Sporthalle. Nur dass hier an den Kleiderhaken Hirtenpelze und Filzhüte hängen.

Eine gute halbe Stunde dauert die „Lebende Krippe“, die im zwölften Jahr gezeigt wird. Alle spielen sie ehrenamtlich, der Eintritt ist frei, und an Spenden für den guten Zweck sind über die Jahre schon 36.000 Euro zusammengekommen. Harald Krumbein ist mit dieser Bühne verwachsen: Er spricht nicht nur die Weihnachtsgeschichte, er hat viele Sommer lang die tragenden Rollen in sämtlichen Märchen-Stücken gespielt: Prinz, König, Kaiser, er kennt sie alle in- und auswendig.

Nach dem Krippenspiel erleben wir ihn gleich noch einmal, diesmal nicht vom Band, sondern live. Denn Harald Krumbein gibt auch Stadtführungen durch die historische Zollfeste Zons. Gut 20 Gäste sind gekommen, sie stammen fast alle aus Straberg in der Nähe – angereist mit dem Taxi. Harald Krumbein bringt ihnen Zons nahe: der große Brand von 1620, das verheerende Hochwasser von 1784, der Juddeturm, in den die Juden – nach Krumbein – in Kriegszeiten flüchten durften. Eine Stunde dauert der Rundgang, durch die alte Stadt, entlang der trutzigen Stadtmauer, dann sind alle gut informiert und hungrig, Zeit für die „Schloss-Destille“.
Marktplatz in Zons mit einem Wachturm
Und das heißt: Erlebnisgastronomie. Aus den verschiedenen Gasträumen tönt es „oh“ und „ah“, wenn mal wieder symbolisch jemand zum Ritter geschlagen wird. An den Wänden hängen kleine Schilder mit dokumentierten Grausamkeiten aus Jahrhunderten. Es ist Alkohol im Spiel.

Harald Krumbein erzählt uns sein Leben. Geboren in Wernigerorde im Harz, dort, wo Harzer Roller nicht nur für den Käse, sondern für einen goldgelben Kanarienvogel steht. Bei der Bundeswehr war er zeitweise im „Ätherkrieg“. Das hieß nichts weniger, als eine Ostfrequenz zu kapern und die vielen sozialistischen Falschmeldungen richtigzustellen. Radio im Kalten Krieg.

Sein Leben als Sprecher begann er beim WDR, wechselte zum Deutschlandfunk, bekam in den frühen Sechzigern eine feste Stelle – und als er, der Freund von Gesang und Stimme, am 17. September 1966 den Tod des lyrischen Tenors Fritz Wunderlich vermelden musste, da stockte ihm die Stimme. Später, auf Betriebsfeiern, pflegte er vor der weiblichen Belegschaft niederzuknien und Lieder zu singen. Monika Hagelstein aus der Chefredaktion kann das bezeugen.

„Die DDR habe ich ganz oft miterlebt“, sagt er. Und spätestens in diesem Moment kommt seine „Cousine“ ins Spiel. Wir sind in Tabarz, bei Eisenach. Eigentlich ist sie gar nicht seine Cousine, sondern eine liebe Frau, die er in Prag kennenlernte. Aber „Cousine“, das konnte keiner so recht prüfen, und die Einreise nach drüben machte es leichter. Er hat sich dort immer wohl gefühlt. „Nein, ich bin nie belästigt worden“, sagt er.

Aber schwierig war es trotzdem, gewisse Luxusgüter einzuschmuggeln. Der Mann seiner Bekannten liebte Udo Lindenberg, und Harald Krumbein tat sein Bestes, als er gebeten wurde, beim nächsten Besuch gleich zehn Schallplatten mitzubringen. Der Zoll ließ ihm vier Stück durchgehen, die anderen sechs konnte er sich nach der Reise wieder abholen. Auch der Farbfernseher, schelmisch deklariert als „Urlaubsgepäck“, blieb beim Zoll stecken.
Im Deutschlandfunk präsentierte Harald Krumbein damals eine legendäre Ost-West-Sendung: „Von mir zu Dir“. Da wurden Musikwünsche von BRD-Bürgern gespielt, verbunden mit Grüßen für die Lieben auf der anderen Seite der Mauer. Gerne schmuggelte Harald Krumbein unter Pseudonym seine eigenen Wünsche in die Sendung –  für die Freunde in Tabarz. Ungläubig verlas er die Meldung vom Mauerfall, und nach der Wende blieb er dem Osten treu: Er moderierte Einweihungsfeiern in Autohäusern.

Harald Krumbein ist eine gesamtdeutsche Geschichte. Er hat so viel erlebt, man kommt kaum zum Mitschreiben. Im Keller der „Schloss-Destille“ wird gejohlt, wieder ein Ritter mehr, und wir sind im Winter 2014 angekommen. Stand der deutschen Einheit, knapp 25 Jahre danach? „Wenn ich rüberfahre, dann habe ich nicht das Gefühl, dass ich in ein fremdes Land fahre. So ein Gefühl wie ‚der kommt drüben aus dem Westen‘ – das habe ich nie gehabt.“

Ungehalten ist er trotzdem. „Durch das Verhalten der Bundesregierung habe ich den Eindruck, dass wir wir nicht als Partner angekommen sind. Schauen Sie auf die Löhne, so lange Jahre nach der Wende. Da könnte man glauben, die drüben seien noch Menschen zweiter Klasse.“ Das Wort „drüben“ verwendet er oft, aber er betont es warmherzig, mit Anführungszeichen in der Stimme.

Der Mauerfall ein „Witz“ und eine Sternstunde.

 

Die Originalnachricht aus den DLF-Nachrichten vom 9.11.1989 mit freundlicher Genehmigung vom Deutschlandradio.

Auch zur jungen rot-rot-grünen Koalition in Thüringen hat er eine klare Haltung: „Was soll dieser Eiertanz der CDU mit Bodo Ramelow? Wie lange sollen wir denn noch warten? Eigentlich sollten wir doch längst zusammensein und zusammenwachsen.“

Deutschlandfunk, Lebende Krippe, Stadtführung: seine Stimme ist sein Leben, sein Leben ist eine Stimme. Harald Krumbein bringt uns durch die nächtliche Stadt zurück zur Freilichtbühne, die Schafe kommen ans Gatter und lassen sich zaghaft streicheln. Es ist Mitternacht in Zons, als wir schlafen gehen. Und am nächsten morgen um halb zehn steht Harald Krumbein pünktlich am Tor, packt unsere Rucksäcke in seinen Kofferraum und bringt uns die paar Minuten bis zur Rheinfähre.

Und dann steht er dort zum Abschied, auf der abschüssigen Rampe zum Ufer im nebligen Morgenlicht: Harald Krumbein, ein deutsches Urgestein, fest verwurzelt mit seinem Land und seiner Stadt Zons, der er das Beste gibt, was er hat: seine Stimme.

2 Kommentare

  1. Dieter Röseler 23. Dezember 2014 um 16:36 Uhr

    Vielen Dank für diese einfühlsame Geschichte über ein rheinisches Urgestein zu Weihnachten, Jörg-Christian & Dirk! Frohes Fest!!!

  2. Jürgen Lindenburger 24. Dezember 2014 um 9:16 Uhr

    Diese einfühlsame Geschichte ist ein Weihnachtsgeschenk! Danke an den Autor und Dank an Dirk Gebhardt für die wunderschönen Bilder.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Antworten abbrechen