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  • Ein Lastschiff auf dem Rhein

Die Wetterautobahn

Autor: Joerg-Christian Schillmoeller
Fotos: Dirk Gebhardt

30. Dezember 2014

Plötzlich ist der Nebel da. Keine fünf Minuten, und die Sicht ist runter auf zehn, fünfzehn Meter. Das ist nicht viel, denn der Rhein ist mehr als 300 Meter breit. Die „Niederrhein“ könnte trotzdem fahren, sie hat Radar und Nebelhorn. Aber gerade zieht ein Frachter vorbei. Das ist „Längsverkehr“, und der hat Vorfahrt vor dem Querverkehr. Dann ist der Fluss frei – und in knapp vier Minuten sind wir drüben. So geht das zwei Stunden lang: hin und her fahren wir, von einem Ufer zum anderen. Denn die drei Fährmänner haben viel zu erzählen. Mit so viel haben wir nicht gerechnet.

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Paul Deumers, Schiffsführer. Uwe Nammert, Decksmann. Wolfgang Jansen, Chef. Es ist ein Wintermorgen am Rhein im Dezember. Um punkt zehn legt die „Niederrhein“ ab. Die erste Fahrt heute, an Bord wenig los, es ist Sonntag. Unter der Woche beginnt der Betrieb schon um 6.15 Uhr. Dann fahren keine Touristen mit, sondern Berufspendler. Sie arbeiten linksrheinisch, zum Beispiel in der chemischen Industrie in Dormagen. Oder rechtsrheinisch in Düsseldorf. Genaugenommen heißt das meistens: Bayer und Henkel.
Uwe Nammert ist ein fröhlicher Mensch. Um den Hals trägt er eine Schatulle aus Metall, aus der bunte Farbstreifen herausgucken – die Tickets sehen aus wie Eintrittskarten fürs Programmkino. Die teuerste kostet drei Euro (PKW mit Fahrer), die billigste 50 Cent (Kinder bis neun Jahre, Hunde). Uwe Nammert ist 47 Jahre alt. Er kassiert hier seit 2002 und arbeitet auch als Schiffsführer, je nach Besetzung.

Natürlich hat er viel gesehen und kann viele Anekdoten erzählen. Zum Beispiel die von dem Hund, der eines Winters im Auto die Zentralverriegelung herunterdrückte, als sein Frauchen die Scheiben freikratzen wollte. „Und die Stammkunden reden sowieso über alles“, sagt Uwe Nammert. „Job, Familie, Kinder, Freunde.“ Auch Politik. Aber sowas von.

In diesem Moment nimmt das Gespräch eine unerwartete Wendung. Denn es stellt sich heraus: Uwe Nammert hat eine gesamtdeutsche Vergangenheit. Er ist in Leipzig geboren und 1977 im Alter von zehn Jahren aus der DDR ausgewiesen worden. Seine Mutter, gebürtig aus Gelsenkirchen, fand das Regime furchtbar. Also setzte sich sein Vater eines Tages in den Zug, ließ sich absichtlich an der innerdeutschen Grenze festnehmen und kam nach Cottbus in Haft. „Westdeutschland hat damals ja politische Gefangene nach einem Jahr freigekauft“, sagt Uwe Nammert, der mit seiner Familie ins Notaufnahmelager Gießen kam.
In der BRD erlebte er einen „kleinen Kulturschock“, wie er es nennt. „Das Krasseste war das Schulsystem. Bei uns war es streng gewesen, und ich war diszipliniert. Was dann im Westen in den Schulen abging, das hätte man sich im Osten nicht träumen lassen.“ Gut für Uwe: Im Betragen bekam er die ersten Jahre immer eine Eins. Nur seine Mitschüler fragten sich immer: Was ist mit dem los? Warum sagt der nie was? „Aber so war ich erzogen. Ich machte den Mund nur auf, wenn ich gefragt wurde.“

Als die Mauer fällt, ist er 22 und schaut sich alles im Fernsehen an. Dass es passiert, das findet er gut. Aber ein bisschen hopplahopp sei es gegangen: „Da war nichts geregelt“. Bis heute zahlt Uwe Nammer seinen Solidaritätszuschlag gern. „Solidarität ist immer gut“, sagt er. Illusionen macht er sich keine: Es sei ja wohl von Anfang an klargewesen, dass die Abgabe ewig bleiben werde – angesichts eines Landes, das 40 Jahre lang heruntergewirtschaftet worden sei. Uwe Nammert würde heute sofort in den Osten zurückgehen, wenn es einen Job für ihn gäbe.

Fährgeschichten im Winter 2014. Die „Niederrhein“ ist 37 Meter lang, hat einen Tiefgang von um die 1,20 Meter – und Platz für 17 PkW. Bis zu 190 Personen dürfen pro Fahrt mitreisen, die maximale Zuladung liegt bei 60 Tonnen, die Fähre wiegt genauso viel. Angetrieben wird das Schiff von zwei Deutz-Motoren, beide sind drei Jahre alt und kommen jeder auf 180 PS. Gefahren wird bei Wind und Wetter. Nur wenn der Rheinpegel Düsseldorf auf 6,30 Meter steigt, ist Schluss: „Wir bleiben ja oben“, sagt Wolfgang Jansen. „Aber die Wege zur Fähre sind dann dicht“. Sprich: Die Autos kommen nicht mehr ran an den Anleger.

Paul Deumers: Die Mark

Wolfgang Jansen ist Quereinsteiger im Querverkehr. Er hat in der Papierindustrie gearbeitet und ist im kommenden Frühling das zehnte Jahr für diesen Fährbetrieb verantwortlich. „In diese Szene kommen Sie normalerweise nicht rein“, sagt er. „Die ganz alten Fährbetriebe, zum Beispiel am Mittelrhein, die sind seit Jahrhunderten in der Hand einer Familie, und ich hatte Glück, denn hier gab es keinen Nachfolger. Da habe ich Ja gesagt.“

Nach seinen Worten gibt es noch rund 100 Betriebe in Deutschland. Sie verdanken ihr Dasein dem Fehlen von Brücken, denn Brücken sind der Todfeind der Fähre. Bei Wolfgang Jansen arbeiten vier Festangestellte und eine Handvoll Aushilfen, seine Söhne eingeschlossen. Die Nachfolge ist schon geklärt, der Nachwuchs übernimmt den Betrieb. Aber Fährmänner sind schwer zu finden: „Viele wollen in Schichten und am Wochenende nicht arbeiten“, sagt Jansen. Die letzte Stelle hatte er neun Monate lang groß ausgeschrieben, am Ende fand sich der neue Mitarbeiter dann doch über Mund-zu-Mund-Propaganda.Wolfgang Jansen mag Flüsse. Er mag es, dass das Wasser den Rhythmus vorgibt, „und nicht das schnelle Internet“, lacht er. Paul Deumers geht es genauso. „Kein Tag ist gleich bei uns, und keine Fahrt ist wie die andere“, sagt der gebürtige Niederländer. Ihn haben die Liebe und das Geld nach Deutschland gebracht. Früher war seine Antwort auf diese Frage immer die gleiche, und es ist eine sehr männliche Antwort: „Die deutschen Frauen sind schön, und die Mark ist hart.“ Als der Euro kam, war er schon verwurzelt im Nachbarland.

Fehlt noch die netteste aller Fährgeschichten: die vom Großreinemachen. Denn einmal im Jahr ungefähr, da reisen auf der „Niederrhein“ nicht Menschen mit, sondern Schafe. Bis zu 500 Tiere umfasst so eine Herde, und wenn nicht alle draufpassen, werden sie eben in zwei Etappen rübergebracht. Wolfgang Jansen legt immer vorher schon alles raus, was saubermachen kann. Besen, Schläuche, das ganze Programm. Sicher ist sicher.

Der Vormittag schreitet voran, zwischendrin legt sich binnen Minuten eine Nebelbank über den Fluss, die Sonne ein gelber Ball dahinter. Kurz darauf ist es wieder klar und blau draußen, ein freundlicher Wintertag. „Wetterautobahn“ nennen ihn die Fährleute deshalb, den Rhein, diesen deutschesten aller Flüsse, der ihnen den Broterwerb sichert – so lange niemand auf die Idee kommt, eine Brücke zu bauen. Zum Glück, sagt Wolfgang Jansen, ist das aber hier, zwischen Dormagen-Zons und Düsseldorf-Urdenbach, auf absehbare Zeit nicht geplant.

Ein Kommentar

  1. […] Jörg-Christian – er schreibt nicht nur, sondern arbeitet zudem beim Deutschlandradio, und so hört man die Männer auch sprechen – hat die drei einfühlsam zum Erzählen gebracht, einige nette Anekdoten inklusive. Fotograf Dirk hat die Bilder dazu gemacht. Mehr davon lest und seht Ihr hier. […]

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