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F2Y

Autor: Joerg-Christian Schillmoeller
Fotos: Dirk Gebhardt

2. April 2015

Irgendwann kommt jeder von ihnen an die Grenze. Physisch oder seelisch. Das bringen Brände und Unfälle mit sich. Die Feuerwehrleute von Korbach wissen das. Sie machen ihre Arbeit aus Überzeugung – und freiwillig. Und sie kennen viele Abkürzungen. Sie fahren im TSF oder im TSF-W zum F2Y oder zum H KLEMM Y. In der Umkleide der Korbacher Feuerwehr stecken die Stiefel immer schon in der Hose, damit man nur noch reinsteigen muss. Wir dürfen auf die Drehleiter, werden beim Probeeinsatz ein bisschen nass und schlafen auf Feldbetten in der Wache.

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Feuerwehr Korbach
Für Erich Heine ist es der 22. Dezember. An diesem Tag muss er immer an den gleichen Einsatz denken. An einem 22. Dezember hatte eine Familie einen Autounfall, es waren zwei kleine Kinder dabei, die Mutter kam ums Leben. „Der kommt jedes Jahr“, sagt Erich Heine. Er sagt das weder verunsichert noch abgebrüht. Es ist einfach so. Die Gedanken sind Teil seines Lebens. „Wir müssen lernen, mit so etwas umzugehen“, sagt er.
Erich Heine über die Belastungen bei der Feuerwehr

Erich Heine ist ein ruhiger Mensch, er spricht nicht laut. Er ist Gerätewart der Feuerwehr Korbach und seit vielen Jahren dabei. Die Erfahrung schwingt mit in dem, was er sagt. Zum Beispiel, dass manche Rettungskräfte jahrelang Unfälle, Brände und sogar Flugzeugabstürze meistern – und dann eines Tages doch an den Punkt kommen, an dem sie sagen: Ich kann nicht mehr, ich muss mit jemandem reden. Mit der Familie und Freunden sowieso, aber auch mit Seelsorgern, mit Therapeuten.

Die Feuerwehr Korbach hat zwei Standbeine. Das eine ist die Freiwillige Feuerwehr mit insgesamt 430 Männern und Frauen. Das andere ist ein kleiner Eigenbetrieb mit vier hauptamtlichen Mitarbeitern, der sich um Verwaltung, Technik und Wartung kümmert. Das Modell ist einmalig in Hessen und auf Bundesebene eine Seltenheit. Normalerweise ist die Feuerwehr nicht eigenständig, sondern Teil der Kommune – als Abteilung zum Beispiel.

Friedhelm Schmidt ist der Leiter des kleinen Betriebes. Er ist Jahrgang 1957 und hat eine lebenslange Fachbiografie: Jugendfeuerwehr, Schützenverein, Spielmannszug und seit 26 Jahren auch Stadtbrandinspektor. Der Mann redet ohne Schnickschnack, er kennt seine Zahlen, er steht hinter seinem Team. Er ist ein Ur-Feuerwehrmann. Um die 200 Einsätze gibt es jedes Jahr in seinem Einzugsgebiet. Die Brände werden weniger, seit Anfang des Jahres gilt in Hessen die Rauchmelderpflicht für alle Wohnungen. Dafür nehmen die technischen Aufgaben zu: Unfälle, Ölspuren, Personenrettungen.

„Wir leisten indirekt sogar Wirtschaftsförderung“, sagt Friedhelm Schmidt. Damit meint er, dass die Feuerwehr mit ihrer Drehleiter den zweiten Fluchtweg in Gebäuden gewährleistet. Das spielt eine Rolle für die Bauplanung. Die Feuerwehr muss bis zu einer Gebäudehöhe von 22 Metern retten können. Ist das Haus höher, muss ein zweiter Rettungsweg gebaut werden.
Die Feuerwehr Korbach versorgt außerdem viele Orte in der Gegend mit Technik und Wissen. Die Gerätewarte reparieren und reinigen alles und jedes, vom Schlauch über das Aggregat bis zum Auto. Mehr als 1.000 Atemschutzgeräte aus der Region werden in Korbach desinfiziert und gewartet. Das spart Geld, sagt Friedhelm Schmidt, denn die einschlägigen Geräte dafür sind teuer. Eines von ihnen schauen wir uns an: Es heißt Quaestor 7000 und besteht aus einer Kiste mit Schläuchen dran. Darauf sitzt ein Kopf aus Kunststoff wie bei einer Modepuppe. Wenn der Quaestor die Atemschutzgeräte testet, macht er Geräusche wie Darth Vader im „Krieg der Sterne“. Einatmen, ausatmen, der Luftdruck muss stimmen.

Für Friedhelm Schmidt ist die Feuerwehr ein gesellschaftliches Bindeglied. „In manchen Orten oder Ortsteilen ist das die einzige noch funktionierende Einheit, sie ist Mädchen für alles, nicht nur für den Kleinbrand. Die Feuerwehrleute sammeln auch gelbe Säcke ein, sie kümmern sich um die Dorfverschönerung.“

Seinen Worten ist anzumerken, dass es Gegenwind gibt. Der Druck, Feuerwehren zu fusionieren, hat zugenommen. „Aber es gibt eine gesetzliche Grenze“, sagt Friedhelm Schmidt. „Wir müssen in zehn Minuten am Ort sein, das ist die vorgeschriebene Hilfsfrist, und das ist in vielen Fällen ohne eine Ortsfeuerwehr gar nicht zu leisten.“

Anders als früher steht die Feuerwehr heute viel stärker in Konkurrenz zu anderen Vereinen und Freizeitaktivitäten. „Früher“, sagt Friedhelm Schmidt, „da waren wir in drei, vier Vereinen und hatten auch die Zeit. Heute sind wir froh, wenn wir ein Kind für einen einzigen Verein gewinnen können. Man kann die Kuh nur einmal melken.“ Er lacht, aber das klingt auch nachdenklich. Es gibt schlicht und einfach Nachwuchsprobleme. Bei den Großen, den Einsatzkräften noch nicht – wohl aber bei der Jugendfeuerwehr. Die schulische Belastung ist hoch, die Lücken für Hobbys werden kleiner.

Stolz ist Friedhelm Schmidt auf die Korbacher Feuerwehrfrauen. „Wir haben einen Anteil von 14 Prozent“, sagt er. Das sind sechs Prozent mehr als der Bundesdurchschnitt. „Und unsere Frauen machen das genauso gut wie die Männer. Damit meine ich nicht nur die Schwere der Arbeit, ich meine auch die psychische Belastung. Es gibt Verkehrsunfälle, da stehen die Frauen sicherer als die Männer. Das gilt auch für den Innenangriff, mit Atemschutz im Flammenmeer.“

Christina Pfeil ist eine Feuerwehrfrau, von der man sich bedenkenlos retten lassen würde. Es ist abends, kurz nach 19 Uhr. Der Tag war sonnig, aber jetzt ist es draußen sehr kalt. Zeit für das Training. Ich steige zu Christina Pfeil in einen kleinen Metallkorb, wir wollen die Drehleiter ausfahren. Christina ist 26 Jahre alt, ein Jahr älter als die Drehleiter. Es ruckelt, und ich habe wacklige Knie, dabei bin ich mit einem massiven Karabinerhaken am Korb gesichert. Kopfkino.

Friedhelm Schmidt über Nachwuchsorgen.

Christina Pfeil ist eine besonnene, zugewandte Frau. Sie erklärt genau, was passiert, warum das ruckelt und wie man jemanden mit einer Drehleiter rettet. Das hilft. Wir sprechen auch über ihre Erfahrungen. Christina Pfeil ist bei der Feuerwehr, weil es ihr wichtig ist, helfen zu können. Ihr geht der erste Einsatz nicht aus dem Kopf, bei dem ein Toter geborgen wurde. „Ich weiß, wie ich mich verhalten muss“, sagt sie, „Ich habe auch gelernt, was wir tun können. Aber es kann jedem von uns passieren, dass wir die Kontrolle verlieren.“ Da ist sie wieder, die Grenze, von der wir an diesem Tag mehrfach hören. Christina Pfeil sagt, sie sei noch nicht bis an ihre Grenzen gegangen. Aber sie weiß, dass das kommen kann.

Wir sind im Abendhimmel von Korbach, ganz weit oben. Über uns leuchtet der Orion, vor uns leuchten in Gold die Kilians- und die Nikolaikirche, unter uns bestrahlen weiße Scheinwerfer den großen Platz vor den Garagen. Christina Pfeil ist Verwaltungsfachangestellte in Kassel und stellvertretende Zugführerin im Gefahrgutzug, der für den ganzen Landkreis zuständig ist. Für Christina eine doppelte Belastung: Sie hat zusätzlich zum Feuerwehrdienst das ganze Wissen über Gefahrstoffe gelernt. Wir fahren wieder runter, ich enthake mich und atme durch.

Gegenüber am Schlauchturm proben sie gleich einen „F2Y“, das ist ein „Wohnungsbrand mit Menschenleben in Gefahr“. Heute leitet Stefan Casper das Training, er ist Dachdecker- und Klempnermeister, arbeitet selbständig und ist bei der Feuerwehr stellvertretender Gruppenführer. Um ihn herum stehen Frauen und Männer in Schutzkleidung, die sich gerade mit Schieb- und Steckleitern aufgewärmt haben.
Stefan Casper erklärt, was er sich genau vorstellt und sagt am Ende: „Wir proben mit Wasser“. Er schaut in unsere Richtung und lächelt. Es ist ein sehr breites Lächeln, denn Dirk und ich hatten uns das Wasser gewünscht. Aufsitzen, losfahren, eine Runde um den Platz. Mit Blaulicht rückt das Fahrzeug an, der Angriffstrupp dringt in den Schlauchturm vor und beginnt aus dem 2. OG den fiktiven Brand zu löschen (in diesem Fall einen nicht-brennenden Baum neben dem Turm, der damit genug Wasser für einen Sommer hat).

Was mir auffällt, ist der Teamgeist. Schnelle Absprachen, keine überflüssigen Fragen und Handgriffe. Die Feuerwehrleute arbeiten zügig, schon ist Druck auf dem Schlauch, kurz darauf schießt das Wasser hinaus, eine Gischtwolke stiebt in unsere Richtung, wir werden ein bisschen nass. Auch das Einsatzende kurz danach, das Abbauen, Einrollen, Zuklappen, Reinfahren, Umkleiden – das alles passiert in wenigen Minuten.

Dann sitzen alle in der „Florianstube“, dem Gemeinschaftsraum der Wache mit einer riesigen Malerei an der Wand: zwei Feuerwehrleute von hinten, daneben das Rathaus und die Kirchen von Korbach. Es gibt Limo und Bier, aus der Anlage kommt Revolverheld, „Ich lass für Dich das Licht an“. Wir stehen drinnen, gehen zum Rauchen vor die Tür und sprechen über Korbach, die kleine Stadt, die groß sein muss, weil sie die einzige in der Gegend ist. Christina Pfeil will dableiben: „Ich mag beides“, sagt sie, „den Stadtcharakter und das Dorfgefühl.“

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