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  • Kloster Knechtsteden

Gottes Diplomaten

Autor: Joerg-Christian Schillmoeller
Fotos: Dirk Gebhardt

9. Januar 2015

Damals und heute – das sind im Kloster Knechtsteden zwei Welten. Damals, in der Blütezeit, lebten hier 400 Menschen: Pater, Brüder, Studenten, Schüler, Personal. Das Kloster stellte alles selbst her, vom Strom über die Wurst bis zum Brot. Und es schickte Brüder und Priester in die Welt hinaus. Das ist vorbei. Heute ist Knechtsteden ein Altenheim für ausgediente Missionare. Sie haben da draußen ihr Leben verbracht, in Afrika, in Südamerika. Sie haben die Apartheid miterlebt, sie waren bei Umstürzen und Bürgerkriegen dabei – und erzählen mit leuchtenden Augen von dieser Zeit. Es muss sie nur jemand fragen.

Etappe:
Zwölf Uhr mittags, auf den Glockenschlag. Gut 20 ältere Herren sprechen das Tischgebet, es gibt Reibekuchen und Kaiserschmarrn. Auf jedem der sechs Holztische stehen Apfelsaft, Mineralwasser, Maggi und ein Körbchen mit Bananen. Das Licht ist schummrig, auf den ersten Blick wirkt der Raum trist. Aber da kennen wir Pater Trächtler, Pater Gerads, Pater Kamps und Bischof Marzinkowski noch nicht.
Knechtsteden Pater Trächtel
„Dann begrüßen wir unsere beiden Pilger“, sagt Bruno Trächtler nach dem Tischgebet und lacht. Er ist 75, leitet das Kloster und erklärt gleich beim Mittagessen die Grundbegriffe des Daseins. Erst kommt das Noviziat, die Einführung in das Ordensleben. Dann folgt die Profess, das ist das Ablegen der Gelübde: Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam.

Danach muss jeder sich entscheiden: Werde ich Kleriker – also Pater – oder werde ich Bruder? Der Pater arbeitet in der Mission als Priester, die Brüder lernen ein Handwerk und nehmen das Fachwissen mit ins Ausland, als Schreiner, Schlosser, Bäcker oder Schmied. „In Knechtsteden wurden früher in allen Handwerken Meister ausgebildet“, erzählt Pater Trächtler.

 

 

Pater Trächtler – Die frohe Botschaft Jesu.

Er selbst studierte Theologie und Philosophie, auch das hier in Knechtsteden. Nach der Priesterweihe 1966 kam er nach Brasilien. Kirchliche Basisarbeit in Salete, im Bundesstaat Santa Catarina im Süden. „Wir fragten uns: Was können wir für die Jugend tun?“ Die Antwort lautete Sport.
Knechtsteden Aufenthaltsraum im Treppenhaus
Mit seinen Freunden baute er ein gemischtes Leichtathletik-Team auf. Das war etwas ganz neues in einem Land, das nur Fußball konnte. Ganz Brasilien staunte damals, als drei junge Frauen aus Salete bei der Landesmeisterschaft die drei ersten Goldmedaillen holten, über 400 Meter, 800 Meter und im Weitsprung. „Das war eine arbeitsreiche, intensive Zeit, und ich war jung“, sagt Bruno Trächtler. Er vermisst die Zeit.

Die Pater und Brüder in Knechtsteden sind Spiritaner. Das ist eine römisch-katholische Ordensgemeinschaft. Heute sind die Spiritaner in 60 Ländern aktiv, und es gibt laut Homepage 3.500 Mitglieder. Die meisten kommen aus Afrika und Südamerika.

 

Pater Gerads erklärt die Gebetszeiten:

Nach dem Zweiten Weltkrieg muss Knechtsteden ein faszinierender Ort gewesen sein: Mehrere hundert Menschen lebten, beteten und arbeiteten hier. In den Werkstätten wurde geschmiedet und geschreinert, jede Woche wurden zwei Schweine geschlachtet und alle 14 Tage ein Rind. Heute hat der Orden massive Nachwuchsprobleme. In Deutschland wurde der letzte Spiritaner 1990 geweiht, im Winter 2014 leben im Kloster noch 24 Pater und Brüder. „Wir sind ein Altenheim geworden“, sagt Bruno Trächtler.

Das spürt man in den Gebäuden, denn es ist fast überall still. Die Stimmen klingen lange nach in der Eingangshalle mit der riesigen Doppeltreppe aus Holz. Im ersten Stock zwitschern Wellensittiche im Käfig, davor stehen Tischchen mit Zeitungen. Die Gästezimmer liegen im zweiten Stock. Bett, Tisch, Schrank. Altmodisch, einfach und blitzsauber. Dusche und Toilette auf dem Flur. Der Sitz der Toilette ist erhöht, ein Zugeständnis an das Alter.

Die Geschichte von Knechtsteden beginnt im 12. Jahrhundert mit den Prämonstratensern, auch das ein katholischer Orden. Die Mönche lebten jahrhundertelang hier und mussten fliehen, als Napoleon kam. Die Spiritaner bekamen das Gelände dann 1896. Da wurde noch gebaut, denn nach einem Brand war das Kloster eine Ruine.
Das Herzstück von Knechtsteden ist die Basilika, und dafür stellt Pater Trächtler uns jemanden zur Seite, der sie besonders gut kennt: Helmut Gerads. Er ist ebenfalls Pater, und als Missionar in Südafrika hat er die Wahl von Nelson Mandela miterlebt. Das war 1994. Als die Mauer in Deutschland fiel, war er in Tansania und kam nicht vom Radio los.

Im Nieselregen schauen wir uns als erstes den Friedhof neben der Basilika an – dort liegen nicht nur Mitglieder des Ordens, sondern auch Soldaten. Pater Gerads redet sich warm, in seiner Stimme liegt der breite, rheinische Tonfall. Im Zweiten Weltkrieg, erzählt er, haben die Nazis die Spiritaner vertrieben und aus Knechtsteden ein Lazarett gemacht, Fachgebiet Hirnverletzungen. Nach dem Krieg kehrten die Spiritaner zurück.

Wir stehen vor der Basilika, und Pater Gerads schwelgt. Hier treffen sich französische und kölnische Romanik, sagt er. Drinnen in der Kirche mit ihren zwei Chören staunen wir über ein großes Fresko in bunten Farben, ebenfalls „pure Romanik“, kommentiert Pater Gerads, „und erst nach dem Brand im 19. Jahrhundert entdeckt“.

Zu sehen ist unter anderem Jesus Christus – und zu seinen Füßen sitzt eine kleine Gestalt, die Pater Gerads sehr gern hat. Es ist Albert von Aachen, der als Stifter und Bauherr die Basilika im 12. Jahrhundert fertigstellte. Helmut Gerads war dabei, als im Westchor das Grab von Albert entdeckt und geöffnet wurde.

Draußen dämmert es schon, die Tage sind kurz, es ist Winter in Knechtsteden. Bald ist Zeit für die Vesper, das Abendgebet. Es beginnt um punkt 18 Uhr in der kleinen Kapelle neben der Basilika und dauert 20 Minuten. Neun Pater und Brüder kommen und beten zusammen. Der Text ist festgelegt, er steht im Stundenbuch.

Psalm 121, ein eindringlicher Moment. „Der Herr ist dein Hüter, der Herr gibt dir Schatten: er steht dir zur Seite. Bei Tag wird dir die Sonne nicht schaden, noch der Mond in der Nacht.“ Beharrlich lesen die Neun den Text. Das gemeinsame Gebet ist ein Ritual, ein Zeichen, dass man sich für diese Gemeinschaft entschieden hat. Das Gebet hält die neun hier in der Kapelle zusammen. Aber es ist auch monoton, es ist Gewohnheit.

Basilika in Knechsteden bei Nacht
Pater Gerads vor dem Friedhof in Knechtsteden
Pater Gerads schildert seine Erlebnise am Tag der Wahl von Nelson Mandela.

Messe in der Kapelle Knechsteden
Heiligenfigur im Klosterknechsteden
So ist das Klosterleben: Den einen ist es Halt, den anderen ist es Fessel. Schon am Nachmittag hatten wir Pater Trächtler gefragt: Leben Sie gern hier? Und er hat gezögert. Eine schwierige Frage sei das, meinte er. Wenn man im Ausland Seelsorge mache, dann sei man bei den Menschen. Hier im Kloster lebe man zurückgezogen. „Für einige ist das gut, für andere ist es eher ein Abgeschlossensein.“

Beim Abendbrot kommen wir mit Pater Kamps ins Gespräch, noch so ein ur-rheinischer Name. Seine Bass-Stimme hatte er schon vorhin in der Kapelle unter Beweis gestellt. Auch er war in Südafrika und hat die Apartheid hautnah miterlebt: Die Farmer fragten ihn frei heraus, warum er zu den Schwarzen gehe. Und sagten ihm, dass das im Grunde doch keine richtigen Menschen seien.

Dieter Kamps half, wo er konnte. Er machte Fotos von den Schwarzen, weil sie Ausweise brauchten. Er besorgte Medikamente. Aber irgendwann konnte er nicht mehr: „Du bist unglaubwürdig“, sagte er sich. „Du predigst, dass alle Menschen vor Gott gleich sind – aber Du lebst in einem Land, in dem Du nicht jedem die Hand geben darfst, nicht mit jedem ein Bierchen trinken darfst und schon gar nicht jeden bei Dir übernachten lassen darfst.“

Pater Kamps kehrte nach Deutschland zurück, und heute tut er vor allem eines: Er studiert die Orthodoxie und sammelt Ikonen. Seine beiden Zimmer in Knechtsteden sind ein Museum, bis zur Decke hinauf hängen die Heiligen der Ostkirche: Nikolaus von Myra, Seraphim von Sarow, Peter und Paul. Pater Kamps hat sich im Kloster seine Wohnhöhle eingerichtet. Auf uns wirkt es gemütlich – und ein bisschen überfrachtet.

Dann ist es 20 Uhr, und das Leben kommt zum Stillstand. Noch vor 21 Uhr liegen wir in unseren kleinen Gästezimmern im Bett: Es gibt nichts mehr zu tun im Kloster Knechtsteden. Dafür sitzen wir am nächsten Morgen um punkt sieben Uhr wieder in der Kapelle, diesmal für die „Laudes“, das Morgengebet, gefolgt von der ersten Messe des Tages. Danach gibt es Frühstück, und langsam begreifen wir die Taktung des Klosters: Laudes, Messe, Frühstück, Mittagessen, Kaffee, Vesper, Abendbrot, Schlafengehen.

Heute ist Samstag, und immer samstags kehrt das Leben von früher zurück: dann kommen die Technikfreaks aus der Gegend und werfen die alten Werkstätten wieder an, es sind alles Freiwillige. Dank ihnen drehen sich in der Schlosserei die Bohrer und schwingen die automatischen Sägen. Sogar eine kleine Esse betreiben sie und schmieden Briefbeschwerer mit dem Kreuz darauf und Beschläge für eines der Tore auf dem Gelände.

Noch ein, zwei Stunden, dann wollen wir aufbrechen. Kurz vor Schluss wird es noch einmal hochpolitisch – auf unserem Flur wohnt ein echter Bischof, und Pater Trächtler sagte, ihn müssten wir unbedingt besuchen. Peter Marzinkowski war bis Anfang 2014 in Zentralafrika. Er war Bischof in der Region Basse-Coteaux und tut sich schwer mit dem Ankommen in Deutschland. Fast jeden Tag steht er in Kontakt mit seinen Freunden dort, den Anfang des Bürgerkriegs hat er noch miterlebt. „In den Medien hier wird das meist als religiöser Konflikt dargestellt, aber das stimmt nicht“, sagt er. „Eigentlich ist das, was dort passiert, die Folge einer total verfehlten Kolonialpolitik. Dazu kommt die Armut.“ Er könnte Stunden von Zentralafrika erzählen.

Ein Tag im Kloster Knechtsteden: Im Herzen sind alle hier Missionare geblieben. Sie sind Gottes Diplomaten, nur leider a.D. Viel Aufbauarbeit haben sie geleistet, und, sagt Pater Trächtler, die Kirche hat es uns dabei nicht immer leicht gemacht. Er distanziert sich mit klaren Worten von der Struktur dieser Katholischen Kirche, die er schon vor Jahren, damals in Brasilien, als „unbeweglich“ empfand.

Damals schossen die evangelikalen Kirchen aus dem Boden, weil jeder sagen konnte: Ich hänge mir ein Schild über die Tür und mache eine Kirche auf. Es wurde schwer, mitzuhalten. Damals, sagt Bruno Trächtler, hätten wir dringend mehr Personal gebraucht und sprachen darüber, Verheiratete zum Priester zu weihen. „Aber uns war klar, dass so ein Schritt zu einer Spaltung führen würde.“

Pater Trächtler über das Klosterleben.

Aber er ist optimistisch geblieben. „Wir haben jetzt einen Papst, der wirklich toll ist“, sagt er. „Aber er allein kann das nicht ändern. Ich bete für ihn, dass er durchhält, dass er noch zehn Jahre bleibt und die Kraft hat.“ Die Kritik von Pater Trächtler ist ganz leicht zu verstehen. Denn seine Religion, das ist die Botschaft Jesu – und, Zitat: „die kommt in der Struktur dieser Kirche nicht mehr durch.“ Was ihn begeistert, das ist das Teilen, das Verzichten auf den Reichtum, das Helfen. „Es kommt drauf an, was ich tue. Das ist das, was mich an dieser Botschaft begeistert. Wenn wir das durchbringen könnten, dann könnte sich Welt verändern.“

Knechtsteden - Kreuzgang
Knechtsteden - Kreuzgang ein Pater geht in seine Zelle
Peter Marzinkowski Bischof a.D. aus Zentral Afrika
Pater Trächtler meint das sehr konkret. Er selbst reist jedes Jahr nach Santiago de Compostela. Zwei Wochen lang nimmt er den Pilgern in der Kathedrale die Beichte ab. „Das sind keine 0815-Gespräche. Das sind alles Lebensbeichten“, sagt er. Bruno Trächtler hört sich Geschichten von zerbrochenen Lebensentwürfen an, es geht um Ehe und um Abtreibung. Eben um das, was man gemeinhin Sünde nennt. Und es berührt ihn, wie erleichtert die Menschen sind, wenn er am Ende sagt, dass Gott die Schuld von ihnen nehme. Dirk merkt an, dass im Regelfall aber doch keine Verbrechen gebeichtet werden. Oder? „Das meinen Sie“, antwortet Pater Trächtler. Mehr sagt er nicht.

Einmal kam eine Finnin zu ihm, und er verstand kein Wort, obwohl er fünf Sprachen spricht. Die Beichte nahm er der Frau trotzdem ab. „Komm, knie Dich hin“, sagte er auf Deutsch, „der Herrgott wird es schon verstehen.“ Sie erzählte ihm ihr Leben auf Finnisch, und er gab ihr die Lossprechung. „Ich habe doch im Grunde sowieso wenig zu sagen“ meint Pater Trächtler. „Eigentlich macht Er das ja.“

Ein Kommentar

  1. Dr. Michael Dörr 17. Januar 2015 um 21:40 Uhr

    Eine beeindruckende Reportage, auf die ich durch Hinweis meiner Tochter Manuela gestoßen bin. Als Neusser „pilgern“ wir gelegentlich durch den Knechtstedener Wald zum Kloster. Wenn man Glück hat, kann man im sogennnten Bullenstall eine Kunstausstellung besuchen. Was die wenigsten wissen: Knechsteden ist auch ein Mekka der Optiker-Ausbildung und des Sports. Spiritaner waren früher zudem Lehrer an einem Mendener (Sauerland) Gymnasium. Da ich beruflich in Menden über Jahre zu tun hatte, besuchen wir heute noch die Gräber der inzwischen nach Knechtsteden wieder heimgekehrten und dort bestatteten Klosterbrüder.

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