Morgens um 6.50 Uhr im Hochsauerland. Das erkennen wir daran, dass Menschen hier an Fragen und Antworten das Wörtchen „woll“ anhängen. Wir sind im Christine-Koch-Wanderheim des ortsansässigen Wandervereins. Dirk steht unter der Dusche im ersten Stock und hat mir hier unten im Essraum (robuste Gemütlichkeit aus Holz, Energiesparlampen) das Requiem von Mozart aufgelegt und Kaffee gekocht. Es ist eine sehr gute Aufnahme mit Nikolaus Harnoncourt. Und schließlich passt die Musik, denn gestern ist unser Termin hier in Bracht geplatzt. Es gab einen Todesfall im Dorf. Das bedeutet: die Junggesellen ziehen nicht mit uns und dem Bollerwagen von Haus zu Haus und anschließend in die Kneipe. Stattdessen um 15 Uhr Messe und um 16.30 Uhr ein Leichenkaffee mit 180 Personen in der Schützenhalle. Das entspricht einem Drittel des Dorfes. Uns gibt man freundlich zu verstehen, dass der Zeitpunkt für ein Interview über den Verstorbenen (einen Landwirt, der viele Jahre hier gelebt hat) und seine Heimat nicht der richtige ist. Schade, woll?

Wir nutzen den Rest des Tages, um unseren Rest-Rausch wegzubekommen – in der Christine-Koch-Wanderhütte, wo wir als einzige Gäste ein ganzes Haus bespielen. Einkaufen können wir nicht. Es gibt keine Infrastruktur. Und wir haben damit ein kleineres Nahrungsproblem, woll? Uns bleiben drei belegte Brote von der Anreise, dazu Power-Riegel, Äpfel und Orangen sowie Frit-Sticks und Yumpies’s (mit Apostroph) aus dem Glasschrank im Essraum. Vor dem inneren Auge ziehen heiße Currywürste und krosse Pommes vorbei, allein, sie bleiben ein Wunschtraum. Der Kühlschrank ist leer. Wir finden dort immerhin Mayonnaise, Ketchup und Senf, mit denen wir die Brote verzieren. Dirk geht um 16.45 Uhr schlafen, die Nacht war kurz.

Ich sitze lange im Essraum, höre die Aufnahmen aus Heggen vom Karneval und bin immer noch gerührt von den Gesangskünsten der Karnevalisten. Hendrik und Philipp, die „Heggens Lob“ singen, die Funkengarde mit dem vielstimmig geschmetterten Schlachtruf der „Blauen“ – gegen die „Roten“ (das ist die Prinzengarde). Draußen vor dem Wanderheim dämmert es. Das Land ist hügelig und rest-verschneit, der Nebel senkt sich über die Wiesen, das große Wegekreuz aus dunklem Holz trägt die Aufschrift: „Gott ist der Weg“. Gelaufen sind wir immerhin 19 Kilometer, angesichts von weniger als sechs Stunden Schlaf und mehr als drei Promille eine Leistung. Über die Bigge, hinauf auf die Hügel, entlang am Repetal, hinunter nach Elspe und über die Elspe, dann hinter Oberelspe wieder hinauf. Der Winter ist zurück: die Wege sind verschneit und tragen malerische Furchen von übergroßen Waldmaschinen. „Rex tremendae majestatis“ singt das Laptop gerade: check.

Ich genieße den ersten Kaffee, denke noch viel nach über die Begriffe Heimat, Zugehörigkeit und Dorfgemeinschaft und habe erste Ideen für die Reportage über Heggen. Heute erwartet uns in Schmallenberg/Oberkirchen der letzte Landarzt, Doktor Michael Waltenberg, woll?