Der Landarzt und der Holzhauer
Autor: Joerg-Christian SchillmoellerFotos: Dirk Gebhardt
18. März 2015
Michael Waltenberg und Hubertus Gilsbach. Zwei Männer und der Wald. Der eine ist Arzt und Jäger, der andere fällt Bäume und macht Wärme daraus. Der eine trägt um den Hals sein Stethoskop, der andere eine Krawatte aus Holz. Michael Waltenberg sucht einen Nachfolger für seine Praxis, Hubertus Gilsbach beliefert seinen Freund mit Hackschnitzeln für die Biomasse-Anlage. Beide leben in Oberkirchen. Das ist ein Fachwerk-Dörfchen im Sauerland. Weil es im Tal liegt, sagen die Menschen „hier unten“. Sie sagen es selbstbewusst. Denn „oben“ – dort liegen der Kahle Asten und Winterberg, und das ist eine andere Welt.
Etappe:
#4Die Jagd ist sein Ruhepol, sie ist es immer gewesen, er geht seit mehr als 50 Jahren in den Wald. Er hat einen Steinbock in der Mongolei und einen Wasserbüffel in Südafrika geschossen. Und daheim in Deutschland natürlich Rotwild, Schwarzwild, Rehwild. Das Revier ist 20 Hektar groß und zehn Autominuten entfernt.
Seine Praxis sehen wir ohne Patienten, es ist Mittwoch Nachmittag, keine Sprechstunde. Hinter dem Eingang der Empfangstresen mit einem Mini-Stehtisch für den Doktor. Links herum das Sprechzimmer, rechts das Wartezimmer, danach in einer Flucht die Behandlungszimmer. Überall hängen Jagdbilder. Ein paar Stufen hinauf: noch mehr Räume. Dort hat er früher die Magen- und Darmspiegelungen gemacht, er tat das gern, er hatte Übung.
Um den Hals trägt Hubertus Gilsbach eine schmale Krawatte aus dunklem Eichenholz. Sie besteht aus mehreren Elementen und wird von Bändern zusammengehalten. Gilsbachs wunderbares Wort dafür lautet „gummigelagert“. Die Krawatte trägt er seit 40 Jahren, gekauft hat er sie bei einem Sägewerker. Wer Eiche nicht mag, kann auch eine in Nussbaum oder Ahorn bekommen. Hinten kann man Adressen und Telefonnummern draufschreiben und später wieder wegschmirgeln.
Wir fahren von der Praxis zu den Waltenbergs. Das dauert fünf Minuten, es geht einen steilen Hügel hoch und rechts um eine Spitzkehre, die man nur in zwei Zügen nehmen kann. Ein Unterstand mit Platz für zwei Autos. Doris Waltenberg drückt uns die Hand, sie ist Michaels zweite Frau, er hat sie in der Praxis kennengelernt. Sie kommt aus Winkhausen, einen Ort weiter, und lernte bei ihm Arzthelferin. Jetzt arbeitet sie seit 27 Jahren in der Praxis, nur ein paar Jahre weniger als er selbst.
Saowanee ist ein herzlicher, offener Mensch. Man darf sie auch „Nee“ nennen, das spricht sich „Nie“ aus. Hubertus sagt einfach „Mama“ zu ihr. Ihrem älteren Sohn Nattan hat er davon abgeraten, Holzhauer zu werden. „Wer sein Leben lang die Motorsäge am Knie hat, der kann doch nicht ganz dicht sein“, meinte er. Nattan hat eine Lehre als Mechatroniker angefangen.
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Doris Waltenberg zeigt uns ein Foto, auf dem sie ein Reh aus der Decke schlägt. So sagt man – aber nur beim Reh- und beim Rotwild. Bein Wildschwein heißt es „abschwarten“, beim Kaninchen „abbalgen“. Gemeint ist immer das Gleiche: Das Fell muss runter. Und noch ein Wort lernen wir, es lautet „Schweinesonne“. So heißt in der Jägersprache der Mond.
Zum Abendbrot kommt Hubertus Gilsbach dazu. Neben seiner Holzkrawatte trägt er ein grün-weiß kariertes Oberhemd und einen grünen Filzhut mit Kordel. Er hat den breiten, westfälischen Akzent in der Stimme und sagt „getz“ statt „jetzt“. Er lacht gern und viel. Michael Waltenberg hat genauso viel Humor, ist aber stiller und nicht so direkt. In seiner Stimme liegt kaum ein Akzent, und er spricht langsamer, macht mehr Pausen. Das hat mit dem Schlaganfall zu tun. Danach konnte er monatelang überhaupt nicht sprechen.
Als erstes zeigt uns Hubertus Gilsbach die Granatspuren. Gleich hinter der Eingangstür, unten auf den historischen Bodenkacheln: kleine, graue Macken, Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Ganz zu Anfang wohnte hier eine Bauerstochter, die ein uneheliches Kind erwartete und darum vom Vater hierher verbannt wurde. „Getz trinken wir erstmal eine Flasche Bier“, hatte Hubertus Gilsbach gesagt, bevor er uns das erzählte. Das Bier steht vor der Haustür und ist eiskalt.15 Minuten später sitzen Dirk und ich im Hot Pott. Draußen liegt noch Schnee, es sind minus zwei Grad. Drinnen im Bottich ist es pullewarm. Mit dem Plastikpaddel rühren wir um. Im Haus brennt der Kamin, auch den hat Hubertus noch angemacht. Mit Bierdeckeln.
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Die Patienten sagen sowieso alle das Gleiche, es ist auch egal, wen man fragt: Für die Menschen in Oberkirchen ist Michael Waltenberg ein Teil der Familie geworden. Ist die Oma krank, fragt er immer auch, wie es Mutter und Tochter geht. Sind die Kinder krank, fragt er nach den Großeltern. Im Wartezimmer macht eine ältere Dame die Geste nach, wenn der Doktor ihr auf den Arm klopft und sagt „Och ja, Hildegard, das kriegen wir schon.“ Sie schaut wehmütig, als sie sagt: “Das braucht man manchmal“.
8 Kommentare
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Ein HALLO an euch ZWEI,
habt angenehm und ERLICH geschrieben !
Meine Familie Gilsbach möchte sich hiermit bei zwei netten Wanderen bedanken.
Ein wiedersehen mach Freude.
MfG und gutem Gelingen der Tour Hubertus Gilsbach
Es war uns eine Freude, lieber Hubertus.
Wir möchten uns bei der Familie Waltenberg bedanken für die viele Hilfe in den vergangenen Jahren . Wir fühlten uns immer sehr wohl das kann niemand ersetzen.
Wir freuen uns über Ihre Nachricht, denn das war auch unser Eindruck.
Wirklich eine wunderbare lebendige Geschichte. Und was mir auffällt: Wieder mal sehr appetitlich (Wildschweinsalami). Genau an der Stelle, an der man beim Lesen Appetit kriegen muss!
…Ja, die Salami kann was, das stimmt. :-)
Hallo Hubertus!
Ein sehr schöner und gut geschriebener Bericht über euch!
Wünsche dir und Dr.Waltenberg alles Gute!
Hoffe für Oberkirchen und Umgebung das sich ein Nachfolger findet(schwer zu ersetzen so ein toller Arzt)!
Alles Liebe ,dir und Familie( wir sehen uns ja ab und zu )Ganz bes.freue ich mich aufs Klassentreffenjubiläum. 2016! LGBarbara
Ich bin zufällig auf dieser Seite gelandet und habe mit Spannung diesen so frisch geschriebenen Bericht gelesen.Mit Bestürzen musste ich aber auch über den Schlaganfall von Michael lesen.Ich hoffe es geht im so weit wieder gut. Das er keinen Nachfolger gefunden hat macht mich auch sehr traurig,obwohl so einen Arzt mit Leib und Seele würde es sowieso nicht mehr geben..
GGL Grüsse an den Michael von einer Pharmareferentin aus seiner kurzweiligen Heimat Schalksmühle. Ich hoffe er kennt mich noch ( ein gemeinsamer Bekannter ist Gerd Brandt )und ich drücke ihm und seiner Familie für seinen wohl verdienten Ruhestand alles erdenklich gute vor allen Dingen GESUNDHEIT.
Ganz liebe Grüsse
Annette Pett-Hufschmidt