Der Traum vom Leben
Autor: Joerg-Christian SchillmoellerFotos: Dirk Gebhardt
3. Februar 2015
Ein Erlebnis, zwei Geschichten. Wir haben das Treffen mit den syrischen Flüchtlingen zusammen erlebt, nur unsere Perspektiven waren andere. Daher haben wir die Reportage zweimal, mit verschiedenen Texten geschrieben. Es folgt der Text von Dirk Gebhardt.
Eine Männer-WG in der deutschen Provinz. Das Besondere: Sie sind nicht freiwillig hier. Geflohen vor dem unerbittlichen Bürgerkrieg in Syrien, haben fünf Männer und zwei Jungen Asyl gefunden im Anbau einer Mehrzweckhalle. In Untätigkeit verharren vor ihren Mobiltelefonen und versuchen Kontakt zu ihren Familien, ihrer Heimat zuhalten. Für 16 Stunden sind wir ihre Gäste.
Etappe:
#3Mehr im Netz:
Fakten zu syrischen Flüchtlingen bei TagesschauDie sieben Männer – Kurden, Araber und ein Christ – schildern ihre Erlebnisse. Verhaftet, auf der Straße, im Geschäft oder zu Hause. Von wem – macht keinen Unterschied für sie. Syrische Armee, Deserteure, Nusra-Front oder IS. Wir wissen jetzt, wie mit Metallrohren systematisch Finger gebrochen werden. Beine, Hände und Köpfe werden uns hingestreckt, Schnittwunden, Hämatome, Brandwunden und Finger mit ausgerissenen Fingernägeln gezeigt.
Sobhi Tawfik besingt Aleppo
Begonnen hat der Abend mit einem freundlichen „Marhaba“. Joachim, schwarzes gewelltes Haar, 15 Jahre alt, öffnet uns freundlich die Tür. Betonpraktische Hausmeisterwohnung im Anbau einer Sporthalle in der deutschen Provinz. Raufasertapeten in allen Räumen, Wandfarben von weiß bis hell-grün. Joachim führt uns durch den kurzen Flur in das riesige Wohn-Esszimmer. Kochdüfte kommen aus der kleinen Küche. Dort steht Siegfried, hantiert mit drei Töpfen und diversen Schüsseln. Um 17:30 Uhr ist das Abendessen beinahe fertig. Hähnchenschenkel, Bulgur, Reis, syrische Linsensuppe und Damaszener-Salat mit Zitronen-Vinaigrette. In seiner Heimat besaßen Siegfried und seine Familie vier Restaurants in zwei Städten. Er zeigt uns Handybilder – Garten mit Brunnen, edle Holztäfelung und tiefe gemütliche Holzsessel und Tische.
Die Flucht nach Deutschland – Zu Fuß 3.000 KM
Wir setzen uns an den gedeckten Tisch, schon zur ersten Portion lernen wir die orientalische Gastfreundlichkeit kennen. Zuvorkommend, aber bestimmt wird uns danach eine großzügige zweite Portion auf den Teller gelegt. Die dritte können wir zum Glück ablehnen. Abräumen dürfen wir nicht. Die Männer bestehen darauf, dass wir uns auf das Sofa setzen und Tee trinken. Der uns selbstverständlich in kleinen Gläsern mit Unterteller serviert wird.
Nur Matthias spricht Englisch. Er ist 46 Jahre alt, nach Deutschland ist er zu Fuß gekommen – 3.000 Kilometer. Erst mit einem überfüllten Schlauchboot über die Ägäis, dann Griechenland, Mazedonien, Serbien. Erste Verhaftung, zurück nach Mazedonien. Warten, wieder über die Grenze, diesmal schafft er es bis Ungarn. Verhaftung, Flucht um nicht in Ungarn Asyl beantragen zu müssen. Die Bedingungen dort sind unmenschlich sagt er. Drei Monate dauert die Reise, Kosten 9.000 Euro.
Flucht unter einem LKW
Syrische Frühstückssuppe
Dann sind alle müde. Hans hat sich beruhigt. Wir versichern, ihnen keine Namen und Orte zu nennen. Siegfried spielt Musik von seinem Handy ab. Eine Hymne an das Weltkulturerbe Aleppo von dem libanesischen Sänger Sobhi Tawfik. Die Männer werden melancholisch, wippen sachte mit den Füßen, mir kommt es vor als wenn sich in diesem Moment ihr Heimweh materialisieren würde.
Traditionelle kurdische Musik
Wir haben auf Wunsch der sieben Syrer alle Namen geändert und verzichten auf sämtliche Ortsbezüge, um die Familien zu schützen. Den Text von Jörg-Christian Schillmöller könnt ihr hier lesen.
2 Kommentare
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Zeugnis. Wahrscheinlich zu freundlich gezeichnet, um die Verwüstungen in Land und Seelen darzustellen.
Zeugnis. Wahrscheinlich zu freundlich gezeichnet, um die Verwüstungen in Land und Seelen darzustellen. Aber gut so. Allzu grausames Schildern dient der Darstellung nicht. Lassen wir unsere Kraftreserven denen zugutekommen, die sie brauchen.