Der Traum vom Leben
Autor: Joerg-Christian SchillmoellerFotos: Dirk Gebhardt
3. Februar 2015
Ein Erlebnis, zwei Geschichten. Wir haben das Treffen mit den syrischen Flüchtlingen zusammen erlebt, nur unsere Perspektiven waren andere. Daher haben wir die Reportage zweimal, mit verschiedenen Texten geschrieben. Es folgt der Text von Jörg-Christian Schillmöller.
Eine Flüchtlings-WG in Deutschland. Fünf Männer und zwei Jungen aus Syrien. Zu siebt leben sie in der ehemaligen Wohnung eines Hausmeisters. Ibrahim ist 3.000 Kilometer zu Fuß gelaufen und hat dabei sieben Länder durchquert. Bijar hat vier Tage lang im Versteck unter dem Führerhaus eines Lkw ausgeharrt. „Ich bin vor dem Tod geflohen“, sagt er, „und dabei hätte ich leicht sterben können.“ Die Flucht nach Deutschland hat jeden von ihnen mehrere tausend Euro gekostet. Ihre Familien sind alle noch zu Hause, und dort ist Krieg.
Etappe:
#3Mehr im Netz:
Fakten zu syrischen Flüchtlingen bei TagesschauDer Krieg kam im Juli 2012. Der historische Basar brannte kurz darauf fast vollständig aus, das Minarett der Ummayaden-Moschee stürzte im Frühjahr 2013 ein. Bis heute werfen die Soldaten des Assad-Regimes Fassbomben aus Hubschraubern ab – Ölfässer, gefüllt mit Sprengstoff und Nägeln. Auch der IS ist nicht weit. Aus dieser Region kommt Ibrahim.
Sobhi Tawfik besingt Aleppo
Salar kann kochen. Seine Familie hatte bis vor kurzem mehrere Restaurants in der Heimat. Gefülltes Lamm und Fleisch vom Grill haben sie serviert, und Mansaf, das ist Lammfleisch in Joghurt-Sud, auf Reis und Bulgur, mit Mandeln und Pinienkernen. „Bei uns gab es nur orientalische Küche“, sagt er und zeigt uns Videos aus dem Restaurant: Luxus pur, mit Brunnen und Garten.
Für uns hat Salar einen Damaszener Salat gemacht (das schmeckt man an der Zitronen-Vinaigrette). Er hat ein Huhn gekocht, dazu gibt es eine Zwiebelsoße und Linsensuppe. Reis und Bulgur gibt es sowieso immer. Wir essen schon um halb sechs. Draußen ist es fast dunkel, drinnen ein langer Tisch im Neonlicht, darauf in bunten Farben das syrische Abendessen. Zum Nachtisch essen wir Obstsalat mit Honig und Sprühsahne.
Salars Familie ist noch in Damaskus. Seine Frau und seine kleine Tochter warten darauf, aus dem Land herauszukommen. Salar ist über die Türkei geflohen. Beim ersten Mal erwischte ihn die Polizei und schlug ihn ohnmächtig. Beim zweiten Mal kam er mit Mîrza und Amal bis Istanbul durch. „Es gibt viele Schleuser in der Türkei“, sagt er. Gezahlt haben sie 9.000 Euro. Jeder von ihnen.
Die Flucht nach Deutschland – Zu Fuß 3.000 KM
Sprachkurse zum Beispiel. Bijar ist seit kurzem als Flüchtling anerkannt und hat angefangen, Deutsch zu lernen. Er will möglichst bald wieder als Elektriker arbeiten. Geflohen ist er im unter dem Lkw. Die Schleuser hatten unter dem Führerhaus einen Verschlag aus Metall gebaut. Es war gerade Platz für zwei Personen. Nachts durften sie für ein paar Minuten raus, schnell was essen und zur Toilette – und dann wieder hinein in den Verschlag.
„Ich hatte Angst ohne Ende“, sagt Bijar. „Das kriegst du nicht aus dem Kopf. Aber wenn ich in Syrien geblieben wäre, dann wäre ich wohl schon tot. Oder ich hätte kämpfen müssen.“ Solche Geschichten erzählt jeder von ihnen. Geschichten von Assad, von der Freien Syrischen Armee der „gemäßigten“ Rebellen – und vom IS, den sie alle „daesh“ nennen – ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben auf Arabisch.
Sie erzählen davon, wie Assads Armee aus der Luft angreift, und die Islamisten des IS am Boden. Wie der IS das Nachbardorf stürmt. Wie die Extremisten vorgeben, im Namen des Islam zu handeln. Und jemandem zwei Finger brechen, nur weil er raucht. Es sind Geschichten von Entführung, Folter und Mord. Mîrza nennt den Tag im Sommer 2013, als der IS seinen Vater tötete. Ibrahim sagt, auch in seiner Heimatstadt sei der IS an der Macht. „Die Kinder können nachts nicht schlafen. Und die Islamisten ermorden jeden, der etwas gegen sie sagt.“
Sie sagen solche Sätze ohne Hass in der Stimme. Umso deutlicher hört und sieht man ihnen die Angst an. Die Angst um ihre Familie. Und ihre Ratlosigkeit. Was geschieht mit ihrem Land? Was wollen die Islamisten? „Es sind viele Kämpfer aus dem Ausland hier“, sagt Ibrahim. Woher? „Tschetschenien“, sagt er. Er nennt noch mehr Länder. Dagestan, Kasachstan, Irak, Afghanistan. Ganz zu schweigen von Frankreich, Deutschland, Großbritannien.
Flucht unter einem LKW
Unser Gespräch ist ein Puzzle aus Sprachen. Erst nach dem Abendbrot bekommen wir Unterstützung von einem Verwandten, der schon länger in Deutschland gelebt hat und für uns übersetzt. Vorher und nachher reden wir ein bisschen Englisch und helfen uns mit Übersetzungsprogrammen auf dem Smartphone. Immer wieder kommt einer von ihnen, zeigt auf sein Display, und da stehen dann unter den arabischen Schriftzeichen deutsche Sätze wie „Diktatur, Ungerechtigkeit und Korruption führten zu Armut und Extremismus“. Das schreibt Mîrza, er ist 15.
Syrische Frühstückssuppe
Alle wollen sie zurück. Lieber heute als morgen. Und alle wissen sie, dass das noch Jahre dauern kann. Ihre Hoffnung haben sie nicht verloren. Wir sind beeindruckt von ihrer Menschlichkeit, von ihrem Humanismus. Ihnen geht es nicht um Rache. Ihnen geht es um ihre Heimat, um Frieden, und sie wünschen sich, dass Deutschland und Europa ihnen dabei helfen.
Am nächsten Morgen gibt es ein Frühstück, das wir noch lange in Erinnerung behalten: Bohnensuppe mit einem Gläschen Olivenöl pro Teller. Herzhaft ist noch untertrieben. Wir hören jetzt Feiruz, die weltbekannte Libanesin, deren Musik jeder Syrer morgens hört. Dann lassen wir die sieben zurück in der Hausmeisterwohnung und der Obhut von Mister Hans.
Traditionelle kurdische Musik
Wir haben auf Wunsch der sieben Syrer alle Namen geändert und verzichten auf sämtliche Ortsbezüge, um die Familien zu schützen. Den Text von Dirk Gebhardt könnt ihr hier lesen.
Ein Kommentar
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Wahrscheinlich ist Euer Bericht ein größerer Dienst an der der Sache der Flüchtlinge als die üblichen Mittel wie Petitionen oder Demos. Dies ist ein guter Teil Heimatkunde! Danke beiden Autoren.