Die Stimme von Zons
Autor: Joerg-Christian SchillmoellerFotos: Dirk Gebhardt
23. Dezember 2014
„Der 9. November 1989 war für mich eine Sternstunde“, sagt Harald Krumbein. Er hat an diesem Tag im Deutschlandfunk um 20.01 (es war tatsächlich 20.01 Uhr) die Meldung verlesen, dass die Mauer gefallen ist. Die Redakteure standen alle hinter der Scheibe und schauten zu. Heute macht Harald Krumbein Stadtführungen in seiner Heimat, der alten Zollfeste Zons am Rhein – und er leiht seine Stimme einem besonderen Ereignis, das sich Jahr für Jahr wiederholt.
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ReportageHarald Krumbein spricht für die lebendige Krippe.
Eine gute halbe Stunde dauert die „Lebende Krippe“, die im zwölften Jahr gezeigt wird. Alle spielen sie ehrenamtlich, der Eintritt ist frei, und an Spenden für den guten Zweck sind über die Jahre schon 36.000 Euro zusammengekommen. Harald Krumbein ist mit dieser Bühne verwachsen: Er spricht nicht nur die Weihnachtsgeschichte, er hat viele Sommer lang die tragenden Rollen in sämtlichen Märchen-Stücken gespielt: Prinz, König, Kaiser, er kennt sie alle in- und auswendig.
Harald Krumbein erzählt uns sein Leben. Geboren in Wernigerorde im Harz, dort, wo Harzer Roller nicht nur für den Käse, sondern für einen goldgelben Kanarienvogel steht. Bei der Bundeswehr war er zeitweise im „Ätherkrieg“. Das hieß nichts weniger, als eine Ostfrequenz zu kapern und die vielen sozialistischen Falschmeldungen richtigzustellen. Radio im Kalten Krieg.
Sein Leben als Sprecher begann er beim WDR, wechselte zum Deutschlandfunk, bekam in den frühen Sechzigern eine feste Stelle – und als er, der Freund von Gesang und Stimme, am 17. September 1966 den Tod des lyrischen Tenors Fritz Wunderlich vermelden musste, da stockte ihm die Stimme. Später, auf Betriebsfeiern, pflegte er vor der weiblichen Belegschaft niederzuknien und Lieder zu singen. Monika Hagelstein aus der Chefredaktion kann das bezeugen.
„Die DDR habe ich ganz oft miterlebt“, sagt er. Und spätestens in diesem Moment kommt seine „Cousine“ ins Spiel. Wir sind in Tabarz, bei Eisenach. Eigentlich ist sie gar nicht seine Cousine, sondern eine liebe Frau, die er in Prag kennenlernte. Aber „Cousine“, das konnte keiner so recht prüfen, und die Einreise nach drüben machte es leichter. Er hat sich dort immer wohl gefühlt. „Nein, ich bin nie belästigt worden“, sagt er.
Der erste Farbfernseher
Harald Krumbein ist eine gesamtdeutsche Geschichte. Er hat so viel erlebt, man kommt kaum zum Mitschreiben. Im Keller der „Schloss-Destille“ wird gejohlt, wieder ein Ritter mehr, und wir sind im Winter 2014 angekommen. Stand der deutschen Einheit, knapp 25 Jahre danach? „Wenn ich rüberfahre, dann habe ich nicht das Gefühl, dass ich in ein fremdes Land fahre. So ein Gefühl wie ‚der kommt drüben aus dem Westen‘ – das habe ich nie gehabt.“
Ungehalten ist er trotzdem. „Durch das Verhalten der Bundesregierung habe ich den Eindruck, dass wir wir nicht als Partner angekommen sind. Schauen Sie auf die Löhne, so lange Jahre nach der Wende. Da könnte man glauben, die drüben seien noch Menschen zweiter Klasse.“ Das Wort „drüben“ verwendet er oft, aber er betont es warmherzig, mit Anführungszeichen in der Stimme.
Der Mauerfall ein „Witz“ und eine Sternstunde.
Die Originalnachricht aus den DLF-Nachrichten vom 9.11.1989 mit freundlicher Genehmigung vom Deutschlandradio.
Deutschlandfunk, Lebende Krippe, Stadtführung: seine Stimme ist sein Leben, sein Leben ist eine Stimme. Harald Krumbein bringt uns durch die nächtliche Stadt zurück zur Freilichtbühne, die Schafe kommen ans Gatter und lassen sich zaghaft streicheln. Es ist Mitternacht in Zons, als wir schlafen gehen. Und am nächsten morgen um halb zehn steht Harald Krumbein pünktlich am Tor, packt unsere Rucksäcke in seinen Kofferraum und bringt uns die paar Minuten bis zur Rheinfähre.
Und dann steht er dort zum Abschied, auf der abschüssigen Rampe zum Ufer im nebligen Morgenlicht: Harald Krumbein, ein deutsches Urgestein, fest verwurzelt mit seinem Land und seiner Stadt Zons, der er das Beste gibt, was er hat: seine Stimme.
2 Kommentare
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Vielen Dank für diese einfühlsame Geschichte über ein rheinisches Urgestein zu Weihnachten, Jörg-Christian & Dirk! Frohes Fest!!!
Diese einfühlsame Geschichte ist ein Weihnachtsgeschenk! Danke an den Autor und Dank an Dirk Gebhardt für die wunderschönen Bilder.