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Ihr wollt mit uns wandern? Habt eine gute Geschichte auf einer unserer Etappen? Oder möchtet uns eure Anregung oder Kritik mitteilen. Sendet uns bitte eine E-mail: kontakt@einjahrdeutschland.de

Menschen in Bäumen

4. November 2015

Bei Tolkien sind es die Elben, die im Wald leben. Sie bauen Paläste in den Bäumen, mit vielen Plattformen und Strickleitern, alles in filigraner Holzkunst. Auf der Kulturinsel Einsiedel wohnen Menschen in den Wipfeln. Ihre Holzhäuser sind windschief, aber das ist gewollt. Wer hier oben die Sonne über der Neißeaue aufgehen sieht - während auf dem Holzdach gegenüber ein Yak frühstückt - der versteht: Hier wurde ein Kindheitstraum wahr. Ein Traum, der längst auch ein Geschäftsmodell ist.

Mission: Görlitz

3. November 2015

Die Bahnhofsmission in Görlitz ist die erste, die nach der Wende in Ostdeutschland wieder öffnete. Bahnhofsmission und DDR: Das vertrug sich nicht. Das SED-Regime verbot sie früh, denn sonst hätte man einräumen müssen, dass es Armut gibt im Sozialismus. Und Obdachlosigkeit. Heute gibt es in dem kleinen Haus hinter dem Hauptbahnhof ziemlich guten Kaffee und mit etwas Glück eine Bockwurst. Wir treffen Renate Tietz, die Teamleiterin, und Anika Dürrbeck, die Leiterin der Görlitzer Stadtmission, die neben der Bahnhofsmission auch die Suppenküche, den Teekeller und die Kleiderkammer betreibt. Auf einer Fahrt mit dem Suppenküchen-Mobil erleben wir an zentralen Plätzen der Stadt die Kehrseite des Sozialstaates: Menschen in Krisen, Menschen in Armut, Menschen, die Hilfe brauchen - und sie annehmen.

Herde und Erde

27. Oktober 2015

Flach ist es hier, und karg. Ohne regelmäßigen Regen haben die Landwirte es schwer. Die Agrargenossenschaft Skäßchen hat viel durchgestanden: die DDR, die Wende, die Umstrukturierung. Als sie Genmais anbauten, kamen die Aktivisten mit der Machete. Heute drücken die Milchpreise die Stimmung. Wir fahren auf dem Mais-Häcksler mit und treffen Menschen, Kühe und Maschinen. Wir lernen auch ein neues Wort: Herdenmanagerin.

Die Gärtner von Königsbrück

27. Oktober 2015

Wenn es ein Leitmotiv in unserer Wanderung gibt - jenseits von Wald, Feld und Straße -, dann sind es die Schrebergärten, diese deutschesten aller Gärten. Sie schmiegen sich an Bahngleise, sie umzingeln Klein- und Großstadt, sie sind kleine Biotope in natürlicher und soziologischer Hinsicht. Heidrun und Peter haben für uns Kaffee gemacht und Kuchen gebacken. Sie haben ziemlich lange an ihrem Garten in Königsbrück/Sachsen gebaut, und es ist nicht untertrieben, ihn ihre heimliche Heimat zu nennen. Dass sie hier gelegentlich übernachten, ist nicht einmal verboten. Sie haben hier nur einen einzigen Feind.

Die Kinder von Panschwitz-Kuckau

24. Oktober 2015

Das Land der Sorben hat einen eigenen Klang. Hier tragen die Orte Namen wie in Sagen: Njebjelcicy, Nebelschütz. Swinjarnja, Schweinerden. Damit wir die Geschichte der Gegend verstehen, fährt ein 80-Jähriger mit uns über Land, joggt für uns einen historischen Burgwall hinauf und erklärt, was Rundlinge sind. In der Grundschule von Panschwitz-Kuckau lernen die Kinder Deutsch und Sorbisch. Wir lernen mit und erleben 20 Mädchen und Jungen, die mit strahlenden Augen die Schulhymne singen. Und Krabat treffen wir auch.

Zwei Brüder in Glaubitz

23. September 2015

Im Garten des Pfarrhauses steckt die Kindheit von Karl-Ernst und Michael Müller. Hier haben sie mit den Nachbarskindern gespielt, wenn sie nicht gerade als Chorkinder beim Leichenzug mitmussten. Der Tod war in ihrem Leben von klein auf präsent. Dass es ein politischer Tod sein konnte, wenn sich einer der Bauern wegen der Kollektivierung das Leben nahm - das verstanden sie erst viel später. Michael lebt bis heute in Glaubitz, Karl-Ernst ist nach Zwickau gezogen - und fährt von dort Hilfsgüter in die West-Ukraine. Das ist seine Art, die Westpäckchen von einst zurückzugeben.

Ringelnatz und Hund

11. September 2015

In Wurzen gibt es zwei Künstler. Der eine ist einer der berühmtesten und witzigsten deutschen Dichter, Maler und Seefahrer. Der andere ist nur Maler. Aber einer, der sich nie verbogen und dafür in der DDR teuer bezahlt hat. Der erste ist Joachim Ringelnatz, der zweite Hans-Peter Hund. Beide sind in Wurzen geboren, einer kleinen Stadt in Sachsen, die lange schon gegen den Ruf kämpft, ein Hort der Rechten zu sein. Darüber ist viel geschrieben worden. Wir wollen über das andere Wurzen schreiben. In der Altstadt stehen zwei Häuser: Das Geburtshaus von Ringelnatz und das Haus am Markt, in dem Hans-Peter Hund lebt. Beide Häuser sind sehr alt und haben viel erlebt. Die Geschichte des Ringelnatz-Geburtshauses ist ärgerlich. Die Geschichte von Hans-Peter Hund ist unvergesslich.

Abschlussball in Beucha

9. September 2015

Der Blick über den See ist atemberaubend. Dunkles Wasser, darüber der Felsen mit der Bergkirche. Der ehemalige Steinbruch hat die Form eines Herzens, hier wurde der Granit für das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig herausgebrochen. Am Bahnhof steht noch das alte DDR-Kulturhaus. Es steckt voll bis zum Rand mit Geschichten. Wolfgang Drescher hatte hier seinen Abschlussball. Er ist Ortsvorsteher und will das Haus vor dem Abriss bewahren. Wir schlafen drinnen, auf staubigem Tanzparkett und besuchen am nächsten Morgen noch schnell seine Tochter Emma in der Grundschule. Es ist der zweite Schultag ihres Lebens. Emma mag Pferde.

Querfurt im Elsterglanz

2. September 2015

Ein Volleyballturnier fällt ins Wasser. Und wir bekommen drei Leben geschenkt. Von Menschen, die wieder nach Hause gekommen sind. Nach Querfurt, Sachsen-Anhalt. Karola Schmitz hatte mit ihrem Gatten fast 13 Jahre lang ein Restaurant auf Teneriffa, „ein bisschen wie die Auswanderer im Fernsehen“, sagt sie. Heute kocht ihr Mann auf Forschungsschiffen - und sie im „Thaldorfer Kartoffel- und Schnitzelhaus“. Wolf-Dieter Schergun war zu DDR-Zeiten bei der Handelsmarine, heute träumt er von einem Betriebskindergarten bei seiner Firma, „am liebsten mit Kneipp-Konzept“. Und Andreas Nette hat in Saudi-Arabien und Oman seine Islamklischees abgearbeitet und kürzlich bei der Wahl zum Oberbürgermeister 40 Prozent und Platz zwei geschafft. Begeistert erklärt er uns den Querfurter Dialekt - und hält ein mitreißendes Plädoyer für Deutschland. Und für Elsterglanz. Von letzterem hatten wir bis dato noch nie gehört.

Touch Rugby in Leuna

20. August 2015

Leuna = Chemie. Die Gleichung gilt bis heute. Vor fast 100 Jahren hat BASF hier das erste Ammoniak für den Kriegssprengstoff hergestellt, später wird Braunkohle zu Leuna-Benzin verflüssigt. Zu DDR-Zeiten steigt das Werk um auf russisches Erdöl und versorgt West-Berlin mit Kraftstoff. Bis zu 28.000 Menschen arbeiten damals in Leuna. Abgas und Abwasser erreichen Rekordwerte. Nach der Wende privatisiert die Treuhand-Anstalt das quadratkilometergroße Gelände, und die Leuna-Schmiergeld-Affäre macht jahrelang Schlagzeilen. Seither mühen sich Städtchen und Standort, ein neues Image zu finden. 9.000 Menschen arbeiten heute auf dem alten Werksgelände - und sie machen auch Sport. Die Belegschaft der Total-Raffinerie spielt jeden Montag um 17.30 Uhr Touch Rugby. Im gemischten Team.

Die singenden Bürger von Berka

12. Juli 2015

Für das kleine Berka im Kyffhäuserkreis ist das Dorffest der große Tag im Jahr. Alle sind da, alle sind aufgeregt. Der Festumzug zieht durchs Dorf, die Chöre singen, es gibt Würstchen und Bier. Das Publikum ist 60plus, erst gegen Abend wird es jünger, und statt Volksliedern laufen jetzt Punk und Deutschrock. Ein Dorf, zwei Welten. Dann gibt es auch noch Ärger, denn die Party nach dem Chorsingen wird kurzfristig abgesagt. Frust statt Feier, eine ganze Weile lang. Erst spät die Versöhnung - in Form eines Alleinunterhalters, der mit professioneller Hingabe Lieder von Helene Fischer und den Puhdys singt. Das Fest ist gerettet.

Katholisch im Grenzgebiet

13. Juni 2015

Heinz-Josef Große hat es nicht geschafft. Mit seinem Bagger fuhr er an den Grenzzaun, kletterte hinüber - und wurde erschossen. Das war 1982, und jeder im Eichsfeld kennt die Geschichte. Wir treffen unverhofft einen von Großes Arbeitskollegen, der uns von der Beerdigung erzählt, damals, unter den Augen der Stasi. Wir laufen durch blühende Wälder, und der Frühling bringt uns nach Heiligenstadt und Worbis. Am Ufer der Leine lernen wir Erich kennen, der uns in seinen Schrebergarten zum Cappuccino einlädt. Später probt eine dreiköpfige Band für uns, obwohl wir den Proberaum im Regen fast nicht finden. Wir sind angekommen in der Mitte Deutschlands.

Außenkommando

7. Juni 2015

In Niederorschel mussten 734 Häftlinge die Tragflächen für ein Kampfflugzeug der Nazis bauen. Das NS-Regime betrieb hier ein Außenkommando des KZ Buchenwald. Der Ortschronist und der Bürgermeister haben die Geschichte aufgearbeitet und sind auf Kapo Otto Herrmann gestoßen. Er war als Funktionshäftling verantwortlich für die Gefangenen und setzte sich für sie ein. Der Staat Israel erklärte ihn 2004 posthum zum "Gerechten unter den Völkern". Niederorschel: Ein Dorf stellt sich der Geschichte.

Leben mit Ziegen

10. April 2015

Nach Ute und Andreas kann man die Uhr stellen. In Freienhagen kann jeder sehen, wann sie im Sommer mit dem Trecker zur Weide fahren, zu ihren Ziegen - und mit der frischen Milch wieder zurück. Präsenz im Dorf: das ist ihnen wichtig. Zu zeigen, dass sie Teil der Gemeinschaft sind. Genau wie ihre Tiere, die Murke, Hirse, Gasella und Gecko heißen und im Stall neben dem alten Bauernhaus leben. Ute und Andreas machen seit vielen Jahren Bio-Ziegenkäse, und 2015 wollen sie etwas Neues erpoben: den Naturschutz. Mit ihren Ziegen, in einem Seitental des Edersees.

Im Orketal

5. April 2015

"Das ist die absolute Einsamkeit", sagt Almut Kroll. Ein Tal, ein Fluss, der Wald: Das sind die Koordinaten ihres Lebens. Das sie genau so leben will. Mit ihrem Mann Peter Kroll, dem Förster. Almut arbeitet in einer Praxis in Winterberg und freut sich immer, wenn sie nach Hause fährt, hinunter ins Orketal. Wir laufen lange durch den Buchenwald, treffen Azubis mit der Motorsäge und schlafen mutterseelenallein in einer Jagdhütte oben auf einem Berg, der auch noch Giebel heißt. Kein fließend Wasser, kein Strom, dafür ein Ofen. Und der Ruf des Käuzchens, dazu die schweren Tropfen des schmelzenden Schnees.

F2Y

2. April 2015

Irgendwann kommt jeder von ihnen an die Grenze. Physisch oder seelisch. Das bringen Brände und Unfälle mit sich. Die Feuerwehrleute von Korbach wissen das. Sie machen ihre Arbeit aus Überzeugung - und freiwillig. Und sie kennen viele Abkürzungen. Sie fahren im TSF oder im TSF-W zum F2Y oder zum H KLEMM Y. In der Umkleide der Korbacher Feuerwehr stecken die Stiefel immer schon in der Hose, damit man nur noch reinsteigen muss. Wir dürfen auf die Drehleiter, werden beim Probeeinsatz ein bisschen nass und schlafen auf Feldbetten in der Wache.

Der Landarzt und der Holzhauer

18. März 2015

Michael Waltenberg und Hubertus Gilsbach. Zwei Männer und der Wald. Der eine ist Arzt und Jäger, der andere fällt Bäume und macht Wärme daraus. Der eine trägt um den Hals sein Stethoskop, der andere eine Krawatte aus Holz. Michael Waltenberg sucht einen Nachfolger für seine Praxis, Hubertus Gilsbach beliefert seinen Freund mit Hackschnitzeln für die Biomasse-Anlage. Beide leben in Oberkirchen. Das ist ein Fachwerk-Dörfchen im Sauerland. Weil es im Tal liegt, sagen die Menschen "hier unten". Sie sagen es selbstbewusst. Denn "oben" - dort liegen der Kahle Asten und Winterberg, und das ist eine andere Welt.

Blau gegen Rot

15. März 2015

Rosenmontag im Sauerland - ein Widerspruch an sich. Dachten wir. Der "Prinzenfrühschoppen" beginnt um 11.11 Uhr und geht bis tief in die Nacht. Eine nahezu interne Veranstaltung, der Karnevalsgesellschaft Heggen e.V.. Rosenmontag im Selbstversuch: Wir singen und trinken mit, und die Heggener erzählen uns vom Leben im Dorf und jenseits davon. Wir hören mindestens 100 verschiedene Lieder und erleben live den Wettstreit der Funken- und der Prinzengarde. Am Ende staunen wir, wer um ein Uhr früh noch auf der Tanzfläche steht. Danach fehlt noch ein wichtiges Ritual, denn vorher gehen die Letzten nicht ins Bett.

Warnamt-Wunderland

20. Februar 2015

In Meinerzhagen holt uns der Kalte Krieg ein. Der alte Atombunker "Warnamt IV" reicht vier Stockwerke hinab in die Erde. Drinnen stehen alle Uhren auf 20.56 Uhr. Das andere Wahrzeichen der Stadt ragt mehr als 30 Meter hoch in den Himmel. Dort oben verstehen wir, warum Meinerzhagen gern "Balkon zum Sauerland" werden möchte. Sprungschanze ins Sauerland würde noch besser passen. Der Bürgermeister heißt Jan Nesselrath, ist 42 Jahre alt - und wir schlafen vor seinem Haus. Aber nicht draußen.

Mensch und Maschinen

4. Februar 2015

Endlich sind wir Androiden begegnet. Ullrich Wimmer hat viele Automaten, die so tun, als wären sie Menschen. Der eine kann rauchen, der andere balanciert einen Stuhl auf der Nase. Das Herz von Ullrich Wimmer ist echt. Er ist Herr des Bergischen Drehorgelmuseums. 200 Instrumente und Apparate hat er in der ehemaligen Kirche aufgestellt. Er zieht Standuhren und Spieldosen auf, wirft Euro-Münzen in Zwitscherautomaten - und lässt die Kirmesorgel einen Csárdás donnern. Zwischendurch sinniert er darüber, ob der Mensch als Schöpfer taugt - oder sich damit mal wieder übernimmt.

Der Traum vom Leben

3. Februar 2015

Ein Erlebnis, zwei Geschichten. Wir haben das Treffen mit den syrischen Flüchtlingen zusammen erlebt, nur unsere Perspektiven waren andere. Daher haben wir die Reportage zweimal, mit verschiedenen Texten geschrieben. Es folgt der Text von Jörg-Christian Schillmöller. Eine Flüchtlings-WG in Deutschland. Fünf Männer und zwei Jungen aus Syrien. Zu siebt leben sie in der ehemaligen Wohnung eines Hausmeisters. Ibrahim ist 3.000 Kilometer zu Fuß gelaufen und hat dabei sieben Länder durchquert. Bijar hat vier Tage lang im Versteck unter dem Führerhaus eines Lkw ausgeharrt. "Ich bin vor dem Tod geflohen", sagt er, "und dabei hätte ich leicht sterben können." Die Flucht nach Deutschland hat jeden von ihnen mehrere tausend Euro gekostet. Ihre Familien sind alle noch zu Hause, und dort ist Krieg.

Der Traum vom Leben

3. Februar 2015

Ein Erlebnis, zwei Geschichten. Wir haben das Treffen mit den syrischen Flüchtlingen zusammen erlebt, nur unsere Perspektiven waren andere. Daher haben wir die Reportage zweimal, mit verschiedenen Texten geschrieben. Es folgt der Text von Dirk Gebhardt. Eine Männer-WG in der deutschen Provinz. Das Besondere: Sie sind nicht freiwillig hier. Geflohen vor dem unerbittlichen Bürgerkrieg in Syrien, haben fünf Männer und zwei Jungen Asyl gefunden im Anbau einer Mehrzweckhalle. In Untätigkeit verharren vor ihren Mobiltelefonen und versuchen Kontakt zu ihren Familien, ihrer Heimat zuhalten. Für 16 Stunden sind wir ihre Gäste.

Gottes Diplomaten

9. Januar 2015

Damals und heute - das sind im Kloster Knechtsteden zwei Welten. Damals, in der Blütezeit, lebten hier 400 Menschen: Pater, Brüder, Studenten, Schüler, Personal. Das Kloster stellte alles selbst her, vom Strom über die Wurst bis zum Brot. Und es schickte Brüder und Priester in die Welt hinaus. Das ist vorbei. Heute ist Knechtsteden ein Altenheim für ausgediente Missionare. Sie haben da draußen ihr Leben verbracht, in Afrika, in Südamerika. Sie haben die Apartheid miterlebt, sie waren bei Umstürzen und Bürgerkriegen dabei - und erzählen mit leuchtenden Augen von dieser Zeit. Es muss sie nur jemand fragen.

Die Wetterautobahn

30. Dezember 2014

Plötzlich ist der Nebel da. Keine fünf Minuten, und die Sicht ist runter auf zehn, fünfzehn Meter. Das ist nicht viel, denn der Rhein ist mehr als 300 Meter breit. Die "Niederrhein" könnte trotzdem fahren, sie hat Radar und Nebelhorn. Aber gerade zieht ein Frachter vorbei. Das ist "Längsverkehr", und der hat Vorfahrt vor dem Querverkehr. Dann ist der Fluss frei - und in knapp vier Minuten sind wir drüben. So geht das zwei Stunden lang: hin und her fahren wir, von einem Ufer zum anderen. Denn die drei Fährmänner haben viel zu erzählen. Mit so viel haben wir nicht gerechnet.

Die Stimme von Zons

23. Dezember 2014

"Der 9. November 1989 war für mich eine Sternstunde", sagt Harald Krumbein. Er hat an diesem Tag im Deutschlandfunk um 20.01 (es war tatsächlich 20.01 Uhr) die Meldung verlesen, dass die Mauer gefallen ist. Die Redakteure standen alle hinter der Scheibe und schauten zu. Heute macht Harald Krumbein Stadtführungen in seiner Heimat, der alten Zollfeste Zons am Rhein - und er leiht seine Stimme einem besonderen Ereignis, das sich Jahr für Jahr wiederholt.

Die Glockengasse

23. Oktober 2014

Deutschland wird weggebaggert. Sechs, sieben Schaufelradbagger in einem gigantischen Loch: Garzweiler II. Der dritte Tag ist eine Reise zum Mittelpunkt der Erde. Ein Fußmarsch durch die Geisterdörfer Immerath und Borschemich bleibt einem lange im Gedächtnis. Immer entlang an der Abbaukante, mit Geschichten von entweihten Kirchen, verrammelten Häusern, von "bergbaulicher Inanspruchnahme" und Mondlandschaften. Der Weg führt übers freie Feld, und die Schuhe sind schwer von Erde am Ende eines solchen Tages: Das ist der fruchtbare Lössboden der Erkelenzer Börde, die langsam vom Tagebau Garzweiler umgepflügt wird.

Der Grenzgänger

16. Oktober 2014

Gerd Passen ist so oft über die Grenzen hier gegangen, dass sie für ihn keine Rolle mehr spielen. Mit ihm beginnt "Ein Jahr Deutschland", am 3. Oktober 2014, morgens um 8.45 Uhr. Ein Frühstück am westlichsten Punkt der Republik, Gemeinde Selfkant, Ortsteil Isenbruch - und Gerd Passen erzählt. Vom Schmugglertunnel in der Mühle und von der Zeit, als die Dörfer hier niederländisch waren. Heute hat er eine klare Haltung zur Pkw-Maut, und er ist viel unterwegs, denn er ist Vorsitzender der Heimatvereinigung Selfkant. Während er erzählt, kommt uns das Zitat des Schriftstellers Robert McLiam Wilson in den Sinn: All stories are love stories. Alle Geschichten sind Liebesgeschichten.