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Herde und Erde

Autor: Joerg-Christian Schillmoeller
Fotos: Dirk Gebhardt

27. Oktober 2015

Flach ist es hier, und karg. Ohne regelmäßigen Regen haben die Landwirte es schwer. Die Agrargenossenschaft Skäßchen hat viel durchgestanden: die DDR, die Wende, die Umstrukturierung. Als sie Genmais anbauten, kamen die Aktivisten mit der Machete. Heute drücken die Milchpreise die Stimmung. Wir fahren auf dem Mais-Häcksler mit und treffen Menschen, Kühe und Maschinen. Wir lernen auch ein neues Wort: Herdenmanagerin.

Etappe:
Im Maisfeld fliegen die Fetzen. Es knackt und dröhnt, durchmischt von einem Geräusch, das nach Zerreißen klingt. Staub steht in der Luft, Millionen Pflanzenteile tanzen. Die Maschine frisst sich durch das Feld, immer sechs Reihen auf einmal. Drei horizontal montierte Zahnräder ziehen die Pflanzen vorne herein. Stiel, Blätter, Kolben, Spitze – ganz egal. Alles wird zerhackt und fliegt in einem dicken, braunen Strahl auf den Doppelhänger, der nebenherfährt. So wird aus Mais Silage gemacht. Futter für das Vieh.

Für Laien wie mich sieht die Maschine aus wie ein Mähdrescher. Der Fachmann kann da nur lächeln. Das hier ist ein Feldhäcksler. Ich stehe vorne neben der Tür zum Führerhaus am Geländer. Die gelöcherten Metallplatten unter den Füßen vibrieren, und ich halte das Mikrofon so weit ich kann hinunter zu den rotierenden Zahnrädern. So schön laut, so schön brutal. Dirk läuft rechts vor dem Häcksler her und macht Fotos. Er hat den anstrengenderen Part. Man könnte meinen, er flieht vor dem Häcksler. Tod im Maisfeld.

Drinnen im Führerhaus sitzt Thomas Marth. Liebenswerter Kerl, lebt in Skäßchen, 180 Einwohner. Thomas Marth hat eine Familie gegründet, eine Scheune ausgebaut, er hat Wurzeln geschlagen. „Fünf Minuten Weg zur Arbeit, wer kann das schon sagen?“, meint er. Während er spricht, muss ich mich festhalten. Es ist keine gute Idee, im Führerhaus eines Feldhäckslers freihändig zu stehen und ein Mikrofon zu halten. Ich frage Thomas Marth, warum der Mais so mickrig aussieht. Viele Blätter sind gelb, die Kolben sind klein. „Die Trockenheit war dieses Jahr extrem“, sagt Thomas Marth. Taugen die Pflanzen noch als Silage? „Grenzwertig“, sagt er.

Skäßchen ist ein Ortsteil von Großenhain, und Skäßchen heißt auch die Agrargenossenschaft, die wir besuchen. An der Fassade des Bürogebäudes steht noch der alte Name: „LPG T – Freies Leben“. Das „T“ steht für „Tierhaltung“. Neben dem Schriftzug zwei schwarz-weiße Kühe, ein Kalb und eine Milchkanne. Der Stil ist old school, sozialistischer Realismus. Old school ist auch Manfred Engelmann. In seinem Büro hängen Geweihe und über dem Schreibtisch stehen zwei Zeilen Frakturschrift auf der Wand: „Teilst du des Bauern Sorgen, jagst du auch noch übermorgen.“ Manfred Engelmann sitzt gern an seinem Schreibtisch. Einen Moment lang posiert er für uns.

Manfred Engelmann war schon Chef, als der Betrieb noch LPG und das Land noch DDR war. Er redet selbstbewusst von dieser Zeit, sachlich und nicht sehr nostalgisch. Erst die Lehre, dann die Fachschule, später die Universität. Der Kaderleiter delegierte ihn nach Skäßchen. „Die Leitungsstruktur war unterbesetzt“, sagt er. Als er kam, war sie es nicht mehr. Der Betrieb wuchs, aber das Futter war schlecht. Ein klassisches DDR-Problem. Es gab kaum guten Schrot für das Vieh, und für Soja und Palmenschnitt aus dem Ausland fehlten die Devisen. Aber es lief. Irgendwie. Und es wuchs.

Schwieriger waren die Wendezeit und die Neunziger Jahre. Die Verhandlungen mit den Banken waren mühsam und oft erfolglos. Manfred Engelmann berichtet kopfschüttelnd von westdeutschen Geschäftsmännern, die den Osten umkrempeln wollten. Er hat dieses Klischee erlebt. Einer von den Wessis trug tagsüber Fliege, da war er bei Engelmann sofort unten durch.

„Es waren viele Glücksritter unterwegs“, sagt er. „Wer sich mit denen eingelassen hat, den gibt es heute nicht mehr.“ Manfred Engelmann gibt es noch. Er schwor sich damals: Ich suche mir mein Geld nicht im Westen, niemals. Er holte sich Absage um Absage, bis irgendwann die Sparkasse aufsprang. Aus der LPG wurde die „Agrargenossenschaft Skäßchen“: Milchproduktion, Pflanzenproduktion, Schweinezucht und -mast, Handel mit Agrarprodukten und zwei kleine Supermärkte. Mindestlohn zahlen sie, keine Frage. „Ich würde gern Tariflohn zahlen“, sagt Manfred Engelmann, „aber das gibt der Betrieb nicht her.“

Er hat auch Genmais angebaut, ein paar Jahre lang, in den 2000er-Jahren, bis die umstrittene Sorte MON810 dann 2009 verboten wurde. Man findet darüber viel im Internet, vorzugsweise auf den Seiten der Gegner. Manfred Engelmann sieht das Thema pragmatisch. Die Erde ist mittelmäßig, die Bodenwertzahl liegt um die 30. Guter Lössboden schafft mehr als 90. In Skäßchen brachte der Vergleich der isogenen Sorten ein deutliches Ergebnis. Isogen bedeutet: Die eine Pflanze ist normaler Mais, die andere ist identisch – bis auf die veränderten Gene. „Damit hatten wir 16,2 Prozent mehr Ertrag beim Körnermais“, sagt Manfred Engelmann, „und 19,5 Prozent mehr Ertrag bei der Maissilage. Das kann man nicht einfach wegdiskutieren.“

Der Mann hat viel diskutiert. Er erzählt, dass er Gegner und Befürworter in den Speiseraum eingeladen habe, einen Stock tiefer, jedes Jahr im April. Er schildert die Gespräche als konstruktiv. Die Aktivisten kamen trotzdem. Über Nacht haben sie ihm die Freilandversuche umgelegt, „mit der Machete“, sagt er. Er hat Anzeige erstattet, erwischt haben sie niemanden.

Es ist Zeit zu frühstücken. Im Speiseraum sitzen Arbeiter und Verwaltung getrennt an zwei Tischen, aber das kann Zufall sein. Es gibt Brot und Brötchen und fünf, sechs Sorten Wurst und Schinken. Die Eier sind weichgekocht und groß, eigene Produktion, das ist ja wohl Ehrensache.

Danach zeigt Manfred Engelmann uns die neue Milchviehanlage. Wir fahren rüber, es sind ein paar hundert Meter, ganz bewusst haben sie auf freiem Feld gebaut, mit Abstand zum Dorf, unter anderem wegen des Geruchs. Vor uns liegt eine luftige Halle für Kühe, die dort ihr Leben verbringen. Für ein Leben auf der Weide – sagt der Chef – sind die Böden eben nicht gut genug. Manfred Engelmann ist stolz auf diese Halle. Es gibt sogar Bürsten für die Kühe. Sie drehen sich wie in einer Autowaschanlage. Stellt das Tier sich drunter, schalten sie sich an, und die Kuh wird durchgebürstet.

470 Plätze gibt es in der Halle, Einweihung war im Dezember 2014. Kurz danach fielen die Milchpreise in den Keller. „Heute machen wir im Monat 25.000 bis 30.000 Euro weniger Erlöse“, sagt Manfred Engelmann. Höre ich da ein Seufzen? „Und das, obwohl wir in der neuen Anlage schon 2.000 Liter mehr Milch am Tag produzieren. Wir können das nicht auffangen.“ Innerlich hat er jetzt auf jeden Fall geseufzt. Er findet die französischen Bauern mutiger als die deutschen, wenn es um Proteste gegen den Preisverfall geht. Die Franzosen haben mehr Biss, sagt er.

Wir gehen durch die Halle, und Johanna Pfennig fährt uns entgegen. Sie ist Melkerin und schiebt mit einem Mini-Trecker das Futter an die Kühe heran, deren Köpfe auf den Mittelgang ragen. Kühe fressen selektiv. Sie schieben die Mischung aus Silage, Schrot und Mineralstoffen mit dem Maul auseinander, fressen mal hier, mal da – und kommen irgendwann nicht mehr ran. Dann kommt Johanna Pfennig mit ihrem Trecker.

Für die Frühschicht steht sie um drei Uhr auf, pro Schicht arbeiten ein Melker und ein Treiber zusammen. Gemolken wird morgens um vier und nachmittags um vier, ein Durchgang dauert vier bis fünf Stunden. Die Kühe kommen aufs Karrussell – eine große Drehscheibe mit Stellplätzen – und werden angeschlossen. Mancher Kuh gefällt das so gut, sagt Johanna Pfennig, dass sie noch ein oder zwei Extrarunden fahren darf. Vorher wird jede Kuh vorgemolken. Dann kommt die keimreichste Milch mit raus, und Johanna Pfennig kann schauen, ob die Milch in Ordnung ist – oder ob die Kuh eine Euterentzündung hat. Das hieße dann: Antibiotika.

Chefin der Herde ist Constanze Nagler. Lachen im Gesicht, schwarz-grüne Schirmmütze auf dem Kopf, 27 Jahre alt. Der Fachbegriff für ihren Beruf lautet „Herdenmanagerin.“ Wie wird man sowas? Sie zieht die Augenbrauen zusammen. „Das wird man nicht, das ist man“, sagt sie, und ich begreife: dumme Frage. „Passion und Liebe braucht es, sonst geht das nicht“, sagt sie. Constanze Nagler ist eine offene, sympathische Frau. Ihre Augen leuchten, sie weiß, was sie kann. Am Anfang wollte sie Tiermedizin studieren, dachte sich dann aber: Ich arbeite lieber mit gesunden Tieren.

Also lernte sie Tierwirtin, Spezialbereich Rinderhaltung. Sie studierte Agramanagement an der Berufsakademie in Dresden, mit Praxisphasen in Köllitzsch. Die neue Milchviehhalle hat sie mitgeplant. Den Kühen gehe es dort viel besser als im alten LPG-Stall, sagt sie. Sie kennt jedes Tier, und sie will jedes Tier mindestens einmal am Tag sehen. Heute morgen gab es eine Notschlachtung, eine Kuh ist gestürzt. „Wenn ein Tier nicht mehr aufstehen kann, dann geht es ein. Wir können es dann nur noch erlösen“, erzählt sie. Traurig sei sie gewesen. „So eine Kuh ist wie ein eigenes Tier“, sagt sie. „Sie fehlt im Bestand. Bei den Milchpreisen zählt jeder Liter. Da lebt man ohnehin schon auf Reserve und schaut, dass man durchkommt.“

Constanze Nagler fotografiert in ihrer Freizeit. Ihr Freund fährt am Wochenende Motocross, sie mag die Motive. Sie selbst reitet. Ihr Pferd heißt „GHB Holly Be Cee“, amerikanisches Morgan-Horse, ganz seltene Rasse, es gibt nur 300 Stück in Deutschland. Holly ist ein Buckskin, gold-bronzefarbenes Fell, weißer Fleck auf der Stirn. „Mein Abschalten, das ist mein Pferd“, sagt Constanze Nagler. „Dann sage ich zur Welt ringsherum tschüss.“

Der Vormittag verstreicht, bald haben wir alle Ställe gesehen, kennen das riesige Maisfeld und wissen, wie der Häcksler klingt. Im Rückblick ist es vor allem ein Moment, der mir im Gedächtnis bleibt. Irgendwann stehen Manfred Engelmann und ich draußen hinter der Milchviehhalle. Er deutet auf eine Böschung. Das Erdreich ist hier ungefähr einen Meter hoch abgestochen, und man kann die Struktur des Bodens erkennen.

„Schauen Sie hin“, sagt er. „Die 30 Zentimeter da oben, das ist lehmhaltiger Sandboden. Und dann kommen schon Sand und Kies.“ Die Folge: Der Boden kann das Wasser nicht halten. Das wusste schon Manfred Engelmanns Großvater. Er gab dem Enkel einen Reim mit ins Leben, den der Enkel bis heute gern aufsagt. Es ist nur ein Zweizeiler, eine echte Bauernregel, aber sie bringt das Leben als Landwirt in dieser Gegend auf den Punkt: „Nachts Regen, am Tage Sonnenschein, dann wächst es auch im Kreise Großenhain.

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