Engel auf der empore der Freilichtbühne in Zons am Rhein
Es war sehr kalt in der obersten Reihe der Freilichtbühne Zons. Das war keine Herbstkälte mehr, das war eine Winterkälte. Eine, die durchgeht. Mir und knapp 500 Menschen, die sich die „Lebende Krippe“ anschauten, war das in dem Moment allerdings egal. Denn wir sahen einen Engel. Und ich bekam eine Gänsehaut. Sie stand da plötzlich auf einem Heuballen zwischen Stall und Hirten, diese Engelin, schneeweiß, mit großen Fittichen. Vermutlich einfach eine junge Frau aus Zons.

Es war aber nicht die junge Frau, die mich berührte. Es war ihre Geste. Sie stand da und hob beide Arme bis auf Schulterhöhe – etwas angewinkelt, die Handinnenflächen zum Publikum. Sie tat nur das. Wortlos, ein paar Minuten lang, dazu vom Lautsprecher die Worte aus dem Lukas-Evangelium. Und irgendetwas in mir wurde ganz weich. Irgendein Stück Kindheit, irgendeine Erinnerung kam da hoch.

Dirk ging es anders. Er war während des Krippenspiels hinter der Bühne und fotografierte. Auch er begegnete der Engelin. Nur dass die junge Frau in den Katakomben ganz prosaische Sorgen hatte: Ihre Flügel standen so weit vom Körper ab, dass sie mal so gerade durch die Gänge und Türen passte. Einmal musste sie auf die Bühne, zwischen Stall und Hirten, und einmal oben rechts auf den Balkon der nachgebauten Burgfassade, die im Sommer Kulisse für vollkommen andere Stücke ist. Durch diese Tür passte sie nur seitwärts.

Viel später an diesem Tag haben Dirk und ich in der Garderobe de r Freilichtbühne übernachtet. Ein skurriler Ort, aber eine Herberge. Gewärmt wurden wir von einem sehr kleinen, elektrischen Heizkörper und zwei Dutzend Hirtenpelzen. Und besonders schön war, dass wir auf dem Gelände nicht allein waren. Denn die Schafe übernachteten ein paar Meter weiter, vorne auf der Freilichtbühne, provisorisch eingezäunt.

Friedlich zupften sie an Heuballen auf dieser Bühne, als wir die letzte Zigarette rauchten. Und morgens, beim ersten Tageslicht nach sieben Uhr, da standen sie immer noch da –  für die nächste Vorstellung am Nachmittag. Um uns herum wurde es hell, die Bäume vor der Festung waren in Nebel getaucht. Advent in Zons.